Toxin
erwiderte Tracy. »War das nicht dieser clevere Techniker, der alle elektrischen Geräte reparieren konnte und der im Krankenhaus für die High-Tech-Elektronik zuständig war?«
»Ganz genau«, bestätigte Kim. »Nach der Zusammenlegung der Krankenhäuser ist er in den Ruhestand getreten. Er baut sich jetzt ein eigenes Flugzeug zu Hause im Keller. Außerdem hat er ein paar verrückte Aufträge übernommen. Weißt du, was er tun könnte? Er könnte an mir eine Wanze installieren, so daß du im Auto auf dem Parkplatz alles hören könntest. Falls ich in eine gefährliche Situation geraten sollte, könntest du sofort Hilfe rufen.«
»Könnte ich auch mit dir reden?« wollte Tracy wissen. »Das weiß ich nicht«, gestand Kim. »Dafür brauchte ich ja eine Art Kopfhörer. Wahrscheinlich würde ich mich damit verraten. Ich glaube nicht, daß die Arbeiter bei Higgins und Hancock Kopfhörer tragen.«
»Ich könnte ja sogar aufnehmen, was du sagst«, überlegte Tracy laut. Sie erwärmte sich zusehends für die Idee. »Stimmt«, entgegnete Kim.
»Meinst du, du könntest Videoaufnahmen machen?« fragte Tracy.
»Könnte sein. Inzwischen gibt es ja schon ganz winzige Kameras. Damit hätten wir einen perfekten Beweis für Kelly Anderson.«
»Mr. Billy Rubin!« rief jemand über die Köpfe der Wartenden hinweg.
Kim hob seine Hand und stand auf. Tracy erhob sich ebenfalls. Ein ganz in Weiß gekleideter Assistenzarzt der Notaufnahme sah sie und kam auf sie zu. Er hatte ein Klemmbrett mit Kims Aufnahmeformular in der Hand.
»Mr. Billy Rubin?« wiederholte der Arzt. Auf seinem Namensschild stand: Dr. Steve Ludwig, Assistenzarzt, Notaufnahme. Er war ein muskulöser, freundlicher Mann mit kurzgeschnittenem, dunkelblondem Haar, das sich bereits lichtete. »Wußten Sie, daß Bilirubin ein Begriff aus der Medizin ist?«
»Nein«, erwiderte Kim. »Das ist mir neu.«
»Ist aber so«, entgegnete Dr. Ludwig. »Es entsteht bei der Aufspaltung von Hämoglobin. Aber das nur am Rande. Sehen wir uns mal Ihre Verletzung an.«
Kim nahm den Mulltupfer weg. Die Wunde war angeschwollen und klaffte jetzt noch weiter auseinander als zuvor. »Oje!« staunte Dr. Ludwig. »Ist ja ein ziemlich übler Schnitt. Den muß ich sofort nähen. Wie ist das denn passiert?«
»Beim Rasieren«, erwiderte Kim. Tracy mußte ein Grinsen unterdrücken.
Kapitel 16
Montag, 26. Januar
Tracy verlagerte ungeduldig ihr Gewicht von einem Bein auf das andere. Sie hatte sich in der Diele im ersten Stock gegen die Wand gelehnt und die Arme verschränkt. Seit fast fünf Minuten stand sie nun schon vor der Tür der Gästetoilette und wartete.
»Was ist los?« rief sie durch die geschlossene Tür. »Bist du bereit?« rief Kim zurück. »Ich bin schon lange bereit. Mach auf!«
Die Tür öffnete sich einen Spalt. Tracy hielt sich die Hand vor den Mund, aber sie konnte ihr Lachen nicht verhindern. Kim war nicht mehr wiederzuerkennen. Sein Haar war ungleichmäßig gestutzt, platinblond gefärbt und so gestylt, daß es größtenteils zu Berge stand. Seine Augenbrauen waren ebenfalls hell gefärbt und bildeten einen starken Kontrast zu einem mit dunklen Bartstoppeln übersäten Gesicht. Die genähte Schnittwunde, die sich vom Nasenrücken bis zu einer der blonden Augenbrauen erstreckte, gab ihm einen Frankenstein-Touch. Er trug ein schwarzes T-Shirt unter einem schwarzen Kordhemd mit aufgesetzten Taschen, eine schwarze Lederhose mit schwarzem Ledergürtel und dazu ein passendes Armband mit Nieten. Zur Krönung seines Outfits hatte er sich einen unechten Diamantstecker ans rechte Ohrläppchen geklemmt und seinen rechten Unterarm mit einem Wolf-Tattoo und dem Wort »lobo« verziert. »Wie findest du mich?« fragte Kim.
»Du siehst ziemlich schrill aus«, stellte Tracy fest. »Vor allem mit den schwarzen Seidenfäden in der Wundnaht. Im Dunklen würde ich dir nicht gerne begegnen.«
»Klingt ja so, als hätte ich mein Ziel erreicht«, stellte Kim zufrieden fest.
»Du siehst jedenfalls nicht wie jemand aus, mit dem ich Bekanntschaft schließen möchte«, fügte Tracy hinzu. »Dann sollte ich vielleicht noch einmal im Krankenhaus vorbeischauen«, schlug Kim vor. »Könnte ja sein, daß sie mich mit meinem neuen Outfit auch ohne Anhörung wieder operieren lassen.«
»Für einen Arzt hält dich jetzt garantiert kein Mensch mehr.« Tracy grinste. »Am besten gefällt mir die Tätowierung.« Kim hob den Arm, um sein Meisterwerk besser bewundern zu können.
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