Toxin
nicht?« wollte Kim wissen. »Wir müssen etwas tun! Ich habe doch gesagt, daß ich die Kosten selbst übernehme.«
»Daß Sie zahlen wollen, spielt in dem Fall keine Rolle«, entgegnete Dr. Stevens. »Aus Sicht der Kommission würde ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen, der AmeriCare bei künftigen Fällen zwingen könnte, Plasmapherese auch Familien anzubieten, die nicht zahlen wollen oder können.«
»Dann bringen wir Becky eben in eine andere Klinik«, fuhr Kim die Ärztin an. »Eine Klinik, in der eine Plasmapherese ohne dieses ganze Theater durchgeführt werden kann.«
»Bitte, Dr. Reggis«, redete Dr. Stevens mitfühlend auf ihn ein. »Beckys Zustand hat sich seit gestern noch einmal verschlechtert, und sie war schon gestern transportunfähig. Außerdem ist die Plasmaaustauschtherapie ja noch nicht definitiv abgelehnt worden. Wir können immer noch auf grünes Licht hoffen. Wir müssen uns nur gedulden.«
»Uns gedulden und Däumchen drehen«, schimpfte Kim. »Das ist nicht wahr«, brauste Dr. Stevens auf. Doch sie fing sich sofort wieder und seufzte. Mit Kim zu sprechen, war wahrlich kein Vergnügen. »Wir helfen Ihrer Tochter auf jede nur erdenkliche Weise.«
»Was mit anderen Worten bedeutet, daß Sie hin und wieder ein paar Komplikationen behandeln«, geiferte Kim. Dr. Stevens stand auf und sah Tracy und Dr. Morgan an. »Ich muß mich jetzt um meine anderen Patienten kümmern. Wenn irgend etwas sein sollte, können Sie mich jederzeit erreichen. Lassen Sie mich über den Pager ausrufen.« Tracy nickte. Dr. Morgan erklärte, daß sie ebenfalls nach ihren Patienten sehen müsse. Dr. Stevens eilte davon. Kim ließ sich auf den Stuhl fallen, den Dr. Stevens gerade freigemacht hatte, und vergrub sein Gesicht in den Händen. Seine Gefühle spielten vollkommen verrückt: Mal war er wütend, dann traurig und niedergeschlagen und dann wieder wütend. Im Augenblick war er so verzweifelt, daß er nur mit Mühe die Tränen zurückhalten konnte. Eigentlich mußte er sich auch um seine stationären Patienten kümmern, aber er fühlte sich nicht dazu imstande.
»Warum hat dein Besuch beim Onion Ring denn länger gedauert, als du erwartet hattest?« fragte Tracy. Sie war zwar einerseits sauer auf ihn, weil er sich so unmöglich benahm, doch andererseits machte sie sich auch Sorgen. Er sah einfach jämmerlich aus.
»Ich habe die Nacht im Gefängnis verbracht«, gestand Kim. »Im Gefängnis!«
»Wenn du mir jetzt vorhalten willst, daß ich auf dich hätte hören sollen«, entgegnete Kim, »ja, du hast recht. Ich hätte auf dich hören sollen. Ich hätte mich beruhigen und dann erst losfahren sollen.«
»Warum in aller Welt warst du im Gefängnis?« fragte Tracy.
»Weil ich die Beherrschung verloren habe«, erwiderte Kim. »Ich wollte herausfinden, ob im Onion Ring verdorbenes Fleisch verarbeitet wird. Und dabei ist mir der arrogante Geschäftsführer in die Quere gekommen und hat mich auf die Palme gebracht.«
»Ich glaube nicht, daß die Fast-food-Industrie schuld an dem Dilemma ist«, schaltete Dr. Morgan sich ein. »Bei dem Problem mit E. coli sind die Fast-food-Restaurants genauso Opfer wie die Gäste, die sich infizieren. Sie bekommen verseuchtes Fleisch geliefert.«
»Darauf war ich auch schon gekommen«, sagte Kim, das Gesicht immer noch in den Händen vergraben. »Als nächstes statte ich Mercer Meats einen Besuch ab.«
»Ich kann zwar kaum noch einen klaren Gedanken fassen, seitdem es Becky so schlechtgeht«, sagte Tracy, »aber wie kann es passieren, daß verseuchtes Fleisch in Umlauf kommt? Werden die fleischverarbeitenden Firmen denn nicht ständig kontrolliert? Ich dachte, das Landwirtschaftsministerium stellt sogar offizielle Bescheinigungen für das Fleisch aus.«
»Stimmt, es stellt Bescheinigungen aus«, entgegnete Dr. Morgan. »Aber wenn Sie glauben, daß das Fleisch deshalb nicht verseucht ist, liegen Sie leider falsch. So ist das heutzutage.«
»Aber wie ist das möglich?« fragte Tracy. »Dafür gibt es verschiedene Gründe«, erwiderte Dr. Morgan. »Der wichtigste ist wohl, daß sich das Landwirtschaftsministerium in einem Interessenkonflikt befindet.« Kim hob den Kopf. »Inwiefern?«
»Sie müssen sich nur mal ansehen, welche Aufgaben man unserem Landwirtschaftsministerium übertragen hat«, erklärte Dr. Morgan. »Auf der einen Seite fungiert es als der offizielle Vertreter der gesamten Landwirtschaft in den USA, die mächtige Rindfleischindustrie eingeschlossen. Darin liegt
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