Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
hatte Michael mit der Äußerung zu seiner
eigenen Person recht gehabt.
Er verstand
tatsächlich nichts von sentimentalen Gefühlen. In seiner Welt
gab es die Dogianer und ihre Gesetzte, die er ohne zu
hinterfragen befolgte. Für seinen Clan und auch für Michael war
er bereit zu sterben, wenn es sein müsste. Und in seiner
Freizeit waren Frauen nur zum Vergnügen da. Er hatte Sex mit
ihnen und am nächsten Morgen ging jeder wieder getrennte Wege.
Das war seine
Auffassung vom Leben. Trotzdem war er nicht vollkommen verroht.
Er hatte den seelischen Schmerz des Freundes in seinen Augen
gelesen und das stimmte ihn nachdenklich und ließ ihn hilflos
zurück. Für ihn waren Frauen nur nächtliche Partnerinnen, die
seine Libido befriedigten und denen er im Gegenzug auch sexuelle
Erfüllung bereitete.
Aber Liebe oder
eine Partnerschaft fürs Leben, das kam in seinem Vokabular nicht
vor. Vielleicht war er tatsächlich ein gefühlsloser Babar,
dachte er niedergeschlagen.
Scheiße ,
murmelte er und nahm noch einen tiefen Schluck aus seiner
Bierdose. Danach rülpste er geräuschvoll auf und griff nach der
Fernbedienung um den Fernseher einzuschalten.
Die vierte Dimension
M ichael
streifte seine Mokassins ab und ging die steile Holzstiege
hinunter, die direkt zum meterlangen Strand führte. Auf den
letzten Treppenstufen setzte er sich und streckte seine Füße in
den noch immer warmen Sand aus. Ironisch lachte er auf. Denn das
schien im Moment der einzige verbliebene Vorteil als
Geisterkrieger zu sein; um Geld mussten er sich keine Sorgen
machen.
Durch sein
jahrhundertelanges Leben in dieser Welt, hatte er mehr Reichtum
angehäuft als er je wieder ausgeben konnte. Darum hatte er auch
dieses Strandhaus angemietet, das sich direkt an den Ausläufern
der Pazifikküste befand. Der schneeweiße, feinkörnige Sandstrand
glitzerte im aufkommenden Mondlicht und der leichte Wind wehte
ihm den Geruch vom Meer und Seetang in die Nase, während er
beobachtete, wie der Mond sich im türkisblauen Meer spiegelte.
Michael nahm all
das in sich auf und sah nach oben in den sternenübersäten
Nachthimmel. Verzweifelt wünschte er sich sein Gedächtnis zurück
und die Erinnerung an eine Leidenschaft zu einer Frau, dessen
Namen ihn nicht mehr einfiel.
Trotzdem wusste er
mit unerschütterlicher Gewissheit, dass er eine Gefährtin hatte. Ich werde mich wieder an dich erinnern, das schwöre ich dir.
Bei allem was mir heilig ist, flüsterte er lautlos in den
Himmel. Der hellste Stern am Firmament flackerte in diesem
Moment leicht auf und strahlte danach noch etwas heller.
Ihm fiel ein altes
Sprichwort der Navajos ein, die glaubten dass die Unfähigkeit
sich mit einem Verlust abzufinden, eine Form von Wahnsinn war.
Für ihn bedeutete
es jedoch noch ein bisschen lebendig zu sein und alles
Menschenmögliche in Bewegung zu setzen um seine Gefährtin, der
Seele mit der er verflochten war, zurückzufinden.
Michael nippte an
seinem Weinglas und dabei wehte ihm der nächtliche Wind
unerwartet einen sehr vertrauten Duft entgegen. So vertraut und
so berauschend, das ihm der Atem stockte und im gleichen Moment
fühlte er eine Vision in sich aufsteigen. Er schloss die Augen,
denn die Dogianer forderten nun seine sofortige Aufmerksamkeit.
Am Ende der Vision
nickte er nur stumm und seine Anspannung stieg ins
Unerträgliche. Unter dem Druck seiner Hand zerbrach das Weinglas
und die Scherben klirrten auf die Holzstufen. Durch den Lärm
aufgeschreckt rannte Sebastién auf die Terrasse raus und wusste
in dem Augenblick als er in das Gesicht seines Freundes blickte,
dass etwas geschehen war.
****
Zurück im
Wohnzimmer ließ er sich schwerfällig in den Ledersessel fallen,
doch Michael kam direkt zur Sache.
»Ruf deine Brüder
zusammen. Wir haben viel zu besprechen und bring die Karten aus
der untersten Schublade mit«, bat er.
»Welche- die
Landkarten?«
»Nein. Wir machen
keinen Campingausflug in die Berge. Ich meine die Astralkarten.«
Man konnte
förmlich sehen, wie ein respektvoller Ruck durch Sebastiéns
hünenhaften Körper fuhr.
»So weit reisen
wir?«, fragte er mit angespannter Mine und sah wie sein Freund
ernst nickte. Als sie alle um den großen Esstisch versammelt
waren, blickte Michael einen nach dem anderen in die Augen und
ein Gefühl des Unbehagens durchfuhr ihn. Jeder von ihnen
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