Träum ich?: Roman (German Edition)
aufgeräumt, dass ich nichts mehr wiederfinde. Schließlich entdecke ich sie in einer Schale neben der Wohnungstür und stürze hinaus zum Wagen.
Wie eine Irre fahre ich zu Gogos Haus. Ich weiß, ich könnte jemanden umbringen, weil ich Stoppschilder überfahre und bei Grün sofort losschieße. Allerdings herrscht in den Vororten von Philadelphia nicht viel Verkehr. Keinerlei Staumeldungen für die Fairview Road in Narberth, Pennsylvania. Dennoch ermahne ich mich, stets auf die Straße zu blicken und nach spielenden Kindern Ausschau zu halten, weil ein gelbes Schild mit der Silhouette von Kindern mich dazu auffordert.
Ich halte vor Gogos Haus, meinem Haus, und springe aus dem Wagen, ohne auch nur den Schlüssel aus dem Zündschloss zu ziehen.
Ich renne zur Tür und drücke wiederholt auf die Klingel. Ich denke nur noch an Gogo. Ich will ihm sagen, dass ich mit ihm zusammen sein will. Wir werden auf herabfallende Felsen und morsche Bäume achten und ich werde ihn in Watte packen, genau so, wie wir einst gewitzelt haben.
Als ich Schritte höre, kann ich mich kaum mehr halten.
»Wer ist da?«, fragt eine weibliche Stimme.
»Lily Burns«, antworte ich, so normal ich kann, aber vor lauter Aufregung zittert meine Stimme ein bisschen.
Die Tür geht auf und da steht Rhonda. Dieses Mal trägt sie einen pinkfarbenen Jogginganzug, passend zum pinkfarbenen Haus mit den pinkfarbenen Wänden und den pinkfarbenen Rosen, aber ich habe jetzt keine Zeit, mich darüber lustig zu machen.
»Hi«, sage ich zu ihr. »Ist Gogo da?« Ich weiß, mir tropft der Schweiß von der Stirn und mein T-Shirt hat Wasserflecken vom Eispicken. »Ich wollte mal vorbeischauen und über die Pläne des Projekts in New York sprechen«, lüge ich.
»Lily«, sagt sie und holt tief Luft. »Dann haben Sie es wohl noch nicht gehört. Gogo wird das Golden-Bakery-Projekt nicht leiten.«
»Was soll das heißen?«, frage ich.
Sie atmet geräuschvoll aus.
»Brad wird es übernehmen.«
Ich zucke zusammen.
»Aber ich bin diejenige, die Carverman Downspouts diesen Auftrag verschafft hat. Und zwar wegen Gogo. Wenn Gogo dieses Projekt nicht leitet, ist das Projekt gestorben.«
»Das meinen Sie doch nicht ernst«, erwidert sie. »Sollen denn all die Mitarbeiter auf der Straße landen, bloß weil mein Mann nicht dabei ist?«
»Ja«, sage ich und denke an Raul, Maurilio und die anderen. Sie werden es einfach verstehen müssen.
»Nun«, sagt sie und atmet noch einmal geräuschvoll aus. »Dann suchen Sie sich wohl besser eine andere Firma.«
»Warum ist Gogo nicht dabei?«, frage ich, obwohl ich die Antwort bereits kenne.
»Lily«, sagt Rhonda. »Kommen Sie doch mal einen Moment herein.«
Das ernüchtert mich. Ich will nicht in dieses Haus. Ich will mein Haus nicht sehen, das er jetzt mit einer anderen Frau, mit einer anderen Einrichtung, mit anderen Erinnerungen bewohnt.
»Danke, aber das ist nicht nötig«, sage ich mit Nachdruck. »Könnten Sie mir nur kurz sagen, wo Gogo ist, damit wir die Sache klären?«
»Gogo nimmt eine Auszeit«, erklärt sie.
»Ach wirklich?«, frage ich.
»Ja. Kommen Sie schon, Lily, mir müssen Sie doch nichts vormachen. Ich weiß, was Sie wollen. Ich weiß, dass Sie mir meinen Mann wegnehmen wollen.«
»Weil er mein Mann ist!«, brülle ich.
Rhonda sieht sich draußen um, ob die Nachbarn mich gehört haben. Als ich mich umdrehe, sehe ich Janice Lopsky, eine Nachbarin, deren Namen ich nur kenne, weil wir ständig versehentlich ihre Post bekamen. Sie lädt Lebensmittel aus ihrem Wagen und starrt zu uns herüber.
»Kommen Sie rein«, sagt Rhonda und zerrt mich ins Haus.
Ich betrete mein Haus. Es wirkt so vertraut und ist doch nicht mehr mein Haus. Sofort fällt mir Rhondas und Gogos Hochzeitsfoto ins Auge, es steht in einem Silberrahmen auf dem Kaminsims. Keiner von beiden lächelt darauf. Wenn es kein Farbfoto wäre und Rhonda kein schulterfreies Rüschenkleid mit einem Rock tragen würde, unter dem sich zehn Kinder verstecken könnten, dann könnte es genauso gut ein Hochzeitsfoto aus den Zwanzigern sein, als Menschen auf Bildern nicht lächeln durften.
»Hören Sie mal«, zischt sie und schließt die Haustür. »Ich habe jetzt genug von alldem.«
»Ich auch, das können Sie mir glauben!«, kontere ich ebenso erbost.
»Für wen zum Teufel halten Sie sich eigentlich, dass Sie hier einfach hereinspazieren und mir meinen Mann wegschnappen wollen? Was finden Sie denn überhaupt so toll an Gogo? Wofür halten Sie sich, dass
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