Träum ich?: Roman (German Edition)
auch nicht, aber woher weißt du, dass ihm etwas zustoßen wird, sobald er sich wieder an alles erinnert?«
Ehrlich gesagt weiß ich das auch nicht sicher. Ich kann nur nach dem urteilen, was Selma und Dolly und all ihren Ehemännern passiert ist: meinem Vater, Dollys Vater, Selmas Vater.
»Vergiss nicht, dass es ein wirklich mächtiger Fluch ist.«
»Aber ich verstehe nicht, wie du jetzt einfach aufgeben kannst! Du bist so weit gekommen!«
»Ich weiß, aber vielleicht habe ich einen Fehler gemacht. Vielleicht habe ich es übertrieben.«
»Ich glaube, du hast bloß Angst«, hat sie mir erklärt. »Du bist so paranoid von all den Geschehnissen, dass du meinst, du würdest mit einem falschen Zug alles vermasseln. Du hast ja noch nicht mal herausgefunden, an welchem Punkt sein Leben aus der Spur geraten ist. Wie willst du das anstellen, wenn du nicht ständig in seiner Nähe bist?«
Das ist ein Argument, aber ich weiß immer noch nicht, was das Richtige ist. Deshalb bin ich joggen gegangen – weil ich dachte, ich würde dabei den Kopf frei bekommen.
Und dann, wie der Zufall es will … höre ich jemanden plötzlich so laut »Lily!« rufen, dass es selbst die voll aufgedrehte Musik aus meinem iPod übertönt.
Ich bleibe abrupt stehen und drehe mich um.
Selma hüpft auf mich zu.
»Was zum Teufel machst du hier?«, frage ich und drehe die Lautstärke herunter. »Du bist gestern erst operiert worden und joggst heute schon mit Krücken?«
»Ich halte das Bein hoch«, erklärt sie. Da sehe ich, dass ihr Bein etwa dreißig Zentimeter über dem Boden schwebt. Die Frau hat wirklich Muskeln. »Aber jetzt lauf mal langsamer. Ich muss mit dir reden.«
Ich weiß, was sie mir sagen möchte, will es aber nicht hören.
»Ich bin jetzt warm«, widerspreche ich. »Mein Kreislauf ist gerade in Schwung gekommen. Ich will jetzt nicht aufhören.«
»Lily«, beharrt sie. »Lauf langsamer.«
Also gehorche ich und bleibe stehen.
»Ich hab mich mit Dolly unterhalten«, sagt sie und hüpft zu mir. Ich laufe so langsam los, dass sie mit mir Schritt halten kann. »Sie hat, glaube ich, recht. Wir sind wohl zu weit gegangen.«
»Ich weiß«, erwidere ich. »Ich bin vielleicht zu weit gegangen, aber ich finde nicht, dass ich jetzt aufhören sollte. Wie soll ich den Fluch brechen, wenn ich keine Zeit mehr mit ihm verbringen darf?«
»Wenn du mehr Zeit mit ihm verbringst, könnte ihm wer weiß was zustoßen. Sieh dich doch an! Du bist eine tolle Frau, klug und sexy. Hab ich nicht gesagt, du solltest etwas zunehmen? Hat deine Großmutter nicht gesagt, du solltest Kleider tragen, die dir zwei Nummern zu groß sind, damit sich kein Mann in deinen Prachtbusen vergucken kann? Es ist Zeit aufzuhören. Es ist Zeit, die Sache auf sich beruhen zu lassen und dein Leben weiterzuleben.«
»Warum hast du dann das alles zugelassen, obwohl du wuss test, dass er sich dadurch wieder in mich verlieben würde?«
»Wenn du erst mal Kinder hast, wirst du das verstehen«, erwidert sie.
»Wie soll ich denn Kinder kriegen, wenn ich keine Zeit mit meinem Mann verbringen darf?«
»Du adoptierst welche«, kontert sie. »Du suchst dir ir gendeinen anonymen Spender, den du nie kennenlernen wirst. Einen genialen Wissenschaftler oder ein männliches Model. Bloß weil du den Mann deiner Träume nicht haben kannst, ist dein Leben noch lange nicht zu Ende. Es gibt andere Möglichkeiten.«
»Aber die will ich nicht«, rufe ich aus und bleibe wieder stehen. »Ich will meinen Mann zurück. Ich will mein Leben zurück!«, sage ich und spüre, wie mir die Tränen kommen.
»Meinst du, ich wollte das nicht?«, fragt sie so aufgebracht, als läge der Frust all der Jahre in diesem einen Satz. »Du musst einfach aufgeben – Gogo zuliebe –, bevor alles noch schlimmer wird. Ich habe diesen Mann kennen und lieben gelernt. Dolly liebt ihn auch. Wir wissen, warum du mit ihm zusammengekommen bist. Wir verstehen, warum du ihn vor uns geheim gehalten hast. Aber ich will dir eine Frage stellen: Was ist besser? Dass er da ist, auch wenn du ihn nicht sehen darfst, oder dass er überhaupt nicht da ist?«
Das bringt mich zum Schweigen.
»Denk darüber nach, Lily. Denk über Gogo nach. Über die Konsequenzen. Triff die richtige Wahl, gottverdammt noch mal«, befiehlt sie, dreht sich um und joggt auf Krücken in die andere Richtung. Bei jedem Schritt treten ihre Armmuskeln hervor wie bei Madonna auf Steroiden.
Ich mache auf dem Absatz kehrt und nehme den anderen Weg nach
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