"Träume aus 1001 Nacht" 6
beiden Männer wechselten einige Wort auf Arabisch, dann wurde Sara angewiesen, in die Zelle zurückzukehren. Auf der Schwelle drehte sie sich um und rief aus: „Mein Vater kann mir sicher helfen. Sein Name ist Samuel Kinsale. Er kennt den Scheich!“
Kharun runzelte die Stirn. War es wirklich möglich, dass der Vater dieser Frau Samuel Kinsale war? Mit diesem Mann stand er seit Wochen in Verhandlungen über die Konzessionen. Er wirbelte auf dem Absatz herum und schaute Sara forschend an. Sie sah nicht gerade so aus, als wäre sie die Tochter eines der mächtigsten Menschen der Welt, doch die beiden Tage in einer staubigen Zelle hatten sie wohl ganz schön mitgenommen.
Ihr goldblondes Haar hätte mal wieder gekämmt werden müssen, doch noch immer fiel es ihr in weichen Locken auf die Schultern. Und in den grauen Augen lag ein energisches Funkeln. Auch die Gesichtszüge drückten aus, dass sie eine Frau war, die sich durchzusetzen wusste. Obwohl ihre Kleidung verdreckt war, erkannte man doch höchste Qualität. Das hätte er von vornherein bemerken sollen.
Doch warum gab sie vor, Fotografin zu sein? Handelte es sich dabei um ein Täuschungsmanöver? Vielleicht war sie auf der Suche nach einer Schwachstelle, die ihr Vater ausnutzen konnte. Oder war sie einfach in eine Sache geraten, von der sie nichts verstand?
„Was hat denn die Tochter eines Ölmagnaten hier verloren? Warum spionieren Sie meiner Familie hinterher?“
„Ihrer Familie?“
„Ja. Ich bin Kharun bak Samin. Die Villa, die sie fotografieren wollten, gehört meinem Onkel, dem Staatsoberhaupt.“
„Ach, du liebe Güte!“, platzte Sara heraus. „Da sitze ich ja wohl ganz schön in der Patsche.“ Je älter ich werde, desto mehr Unfug scheine ich anzustellen, sagte sie sich selbst und schüttelte ungläubig den Kopf.
„Sie können sich gar nicht vorstellen, was Sie hier angerichtet haben“, erklärte er scharf und gab dem Wächter zu verstehen, dass er die junge Frau in die Zelle zurückbringen solle. Obwohl sie dagegen protestierte, wurden seine Gesichtszüge maskenhaft starr. Während der harten Verhandlungen in den letzten Wochen hatte er gelernt, seine Gefühle zu verstecken. Das kam ihm jetzt sehr gelegen.
Kaum hatte Sara das Büro verlassen, drehte er sich um und schaute wieder aus dem Fenster. Doch dieses Mal hatte er keinen Blick für die traumhaft schöne Oase mit den Palmen und den Orangenbäumen. Und auch die weite Wüstenlandschaft, die sich bis zum Horizont erstreckte, fand nicht seine Aufmerksamkeit.
Stattdessen dachte er an den Staatsrat, den er heute Morgen verlassen hatte. Die Minister, die von seinem Onkel ernannt worden waren, kämpften gegen jene an, die auf der Seite seines Vaters gestanden hatten. Alte gegen neue Schule. Auf der einen Seite die Verteidiger einer uralten Tradition, auf der anderen Seite die Hoffnung, das Land endlich ins neue Jahrtausend zu führen.
Und da hinein platzte die Tochter des Mannes, mit dem die Regierung einen Vertrag aushandeln wollte, um das Geld für die nötigen Reformen in die Kassen zu bekommen! Er hatte sich persönlich in dieser Geschichte engagiert, bevor er alle Tatsachen kannte. Deshalb auch würde er selbst die Entscheidung darüber treffen, was mit Sara Kinsale zu geschehen hatte.
Dabei aber würden ihn beide Seiten genau überwachen. Sein Vater hatte viele Jahre lang am Staatsrat teilgenommen, die alte Fraktion kannte ihn gut. Jetzt achteten sie darauf, dass sein Sohn nicht die Interessen des Landes verletzte. Viele Minister fürchteten, das alles könnte zu schnell gehen. Sie zweifelten daran, ob das Land wirklich die Kapazitäten hatte, sich zu einem modernen Staat zu entwickeln. Sie hatten seinem Vater vertraut und brachten Kharun jetzt das gleiche Vertrauen entgegen. Trotzdem beobachteten sie ganz genau, was er tat.
In dem Land herrschte ein extremer Gegensatz von modernen Städten und Landstrichen, in denen die Bevölkerung noch wie im Mittelalter lebte. Mit dem Geld, das die Ölreserven versprachen, konnte man endlich für moderne Straßen, Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser sorgen. Dabei aber kam es vor allem darauf an, diplomatisch vorzugehen und niemanden vor den Kopf zu stoßen. Nachdenklich drehte er sich um und griff zum Telefon.
Sara lag auf der Pritsche. Ihr tat der Rücken weh. Das hier war alles andere als ein Luxushotel. Sie hatte alles auf eine Karte gesetzt und den Namen ihres Vaters ins Spiel gebracht, doch auch das hatte nicht geholfen.
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