Traeume Suess, Mein Maedchen
riss sich aus seiner Umarmung, stürzte in das angrenzende Bad, zog die Tür hinter sich zu und knipste das Licht an. Im blendenden Licht von acht Spots, die den großen rechteckigen Spiegel über dem Waschbecken rahmten, sah sie einen Moment lang gar nichts. »Oh Gott«, sagte sie dann zu der verängstigten jungen Frau im Spiegel, die keuchend nach Luft rang. »Was zum Teufel machst du?«
Und dann sah sie die Schmuckschatulle mit Elfenbeinintarsien, in der ihre Exschwiegermutter die so genannten Familienerbstücke aufbewahrte. Sie stand auf der Fläche links neben dem Waschbecken zwischen einem Sammelsurium von Anti-Falten-Cremes und teuren Feuchtigkeitslotionen, flankiert von einer großen Dose Haarspray als Wachposten und einer runden Glasschale mit Wattepads. Auf der Fläche rechts neben dem Becken bot sich eine imposante Sammlung von Bürsten, Grundierungen, Lippenstiften und Rouges dar. Und das bei einer Frau, die Jamie einmal dafür getadelt hatte, zu viel Wimperntusche aufzutragen.
»Eifersüchtige alte Hexe«, flüsterte Jamie, deren Übelkeitsgefühl plötzlich verflogen war. Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit und zuckte zusammen, als der Lichtstrahl Mrs. Dennisons Gesicht zerschnitt wie die Klinge von Brads Messer. »Brad«, flüsterte sie. »Der Schmuck ist hier. Ich hab ihn gefunden.«
Sie bekam keine Antwort.
Jamie kam zurück ins Schlafzimmer und zog die Badezimmertür hinter sich zu. Ihre Augen gewöhnten sich rasch wieder an die Dunkelheit. »Brad?« Versteckte er sich? Sie wappnete sich für sein plötzliches Auftauchen und zog die Schultern bis zu den Ohren hoch, weil sie fürchtete, dass er sich jeden Moment wie ein Springteufelchen auf sie stürzen würde. Aber niemand stürzte sich auf sie, und das einzige Geräusch, das sie hörte, war Mrs. Dennisons gleichmäßiger Atem.
Wo war er?
Sie hörte einen Laut und erstarrte, weil sie zu spüren glaubte, dass Mrs. Dennison ihr Bett verlassen und sich von hinten angeschlichen hatte. Gütiger Gott, was sollte sie zu der Frau sagen? Wie könnte sie je erklären, was sie hier machte? Aber als sie sich verstohlen umblickte, sah sie, dass ihre frühere Schwiegermutter nach wie vor fest schlief. Als sie wieder herumfuhr, stand Brad plötzlich im Türrahmen.
»Wo zum Teufel bist du gewesen?«, fragte sie wütend.
»Psst«, ermahnte Brad sie, wies mit dem Kopf auf die schlafende Gestalt und trat wieder in den Raum.
»Wo warst du?«
Er zuckte die Achseln und zog hinter dem Rücken einen der großen Messingkerzenleuchter hervor. »Ich dachte, wir machen uns einen Spaß.«
»Spaß? Wovon redest du?«
Er stellte den Kerzenständer auf die Kommode. »Das wird ihr garantiert einen Riesenschrecken einjagen, wenn sie aufwacht.«
»Dann weiß sie auf jeden Fall, dass jemand hier war. Und sie wird merken, dass ihre Ohrringe gestohlen wurden.«
»Hast du sie gefunden?«, fragte Brad und lächelte aufgeregt.
Jamie blickte zum Bad.
»Da drinnen?« Er war schon auf halbem Weg zur Badezimmertür.
Licht flutete ins Schlafzimmer.
»Brad, mach um Himmels willen die Tür zu.«
»Hör auf, dir Sorgen zu machen«, sagte er und ließ die Tür offen stehen. »Zorro schläft tief und fest. Wo sind die Ohrringe?«
Jamie hastete ins Bad, schloss behutsam die Tür hinter sich, nahm das Schmuckkästchen und klappte es auf.
»Wow«, sagte Brad und stieß einen leisen Pfiff aus. »Wenn das kein hübscher Anblick ist.«
Wenn das kein hübscher Anblick ist, wiederholte Jamie stumm und ungläubig staunend und fragte sich, wann sich der kultivierte Computer-Programmierer und Software-Entwickler, mit dem sie durchgebrannt war, in einen gewöhnlichen Südstaaten-Casanova verwandelt hatte. Sie zwang den Blick zurück auf die kleine, aber imposante Schmucksammlung in der Schatulle. Mehrere Goldarmbänder, eine feine Kette aus winzigen Blumen aus Diamanten, ein Ring mit einem Sternsaphir, ein Paar Diamantmanschettenknöpfe, die goldenen Perlohrringe, ein breiter, antiker Ehering aus Gold. Ihr Ehering, dachte sie unwillkürlich. Ihre goldenen Perlohrringe.
»Nimm sie dir«, sagte Brad, als stünden ihre Gedanken in fluoreszierend leuchtenden Lettern auf ihrer Stirn geschrieben. »Sie gehören dir.«
Mit zitternden Fingern nahm Jamie die Ohrringe aus der Schatulle, bevor sie sie wieder neben das Waschbecken stellte. Was in Gottes Namen machte sie?
»Leg sie an«, befahl Brad.
Jamie strich ihre Haare hinter die Ohren, steckte die Ohrringe in die kleinen Löcher in
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