Träume wie Gold: Roman (German Edition)
»Lassen Sie mich raten.« Er trat einen halben Schritt zurück und zog an seiner ausländischen Zigarette. »Sie sind Tänzer.«
»Nein.«
»Nein?« Indigos ausdrucksstarkes Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. »Nun, mit einem solchen Körper sollten Sie das aber sein. Gene Kelly war auch so
ungeheuer athletisch gebaut. Champagner bitte.« Er wedelte mit seiner Zigarettenspitze, um die Aufmerksamkeit von einem der beiden Barkeeper auf sich zu lenken. »Und auch ein Glas für meinen Freund.«
»Scotch«, korrigierte ihn Jed. »Mit Eis.«
»Scotch mit Eis?« Indigos mandelförmige Augen glänzten. »Natürlich, ich hätte es sofort bemerken müssen. Schauspieler sind Sie – Bühne, ganz klar – aus New York.«
Jed nahm seinen Drink und legte einen Dollar Trinkgeld auf den Teller. Manchmal, entschied er, war es am besten, einfach mitzuspielen. »Ja, unter anderem«, murmelte er, nahm seinen Drink und flüchtete.
Das Foyer des Liberty Theaters war dem gotischen Stil nachgeahmt; Stuckleisten, verschnörkelte Wandverzierungen und vergoldete Puttenköpfe. Über den Türen, die in den Zuschaueraum führten, prangten Bronzemasken aus Komödie und Tragödie.
Das Publikum, das an diesem Abend das Theater bevölkerte, schien wild entschlossen zu sein, sich gegenseitig an lautstarker Heiterkeit zu überbieten. Im Foyer schwebte eine Duftwolke, zusammen gesetzt aus Parfüm, Rauch und Popcorn. Dora hätte Jed erklärt, dass es schlicht und einfach nach Theater roch.
Die Garderobe der umherflanierenden Gäste reichte vom Abendanzug bis zu abgetragenen Jeans. Eine ganz in Schwarz gekleidete Dreiergruppe hockte zusammengedrängt in einer Ecke auf dem Boden, einer von ihnen rezitierte aus einem Gedichtband von Emily Dickinson. Durch die offenen Flügeltüren hörte Jed die Band eine flotte Interpretation des alten Stones-Songs ›Brown Sugar‹ schmettern.
Ein Winterball war das hier nicht, stellte er fest.
Alle verfügbaren Beleuchtungen im Zuschauerraum waren in Betrieb. Die Gäste drängten sich in den Gängen, tanzten oder standen in Grüppchen zusammen, aßen oder plauderten, während die Band auf der Bühne fetzige Rockmusik machte.
In den Rängen und auf den Balkonen tummelten sich
weitere Partygäste, die den Geräuschpegel dank der exzellenten Akustik des Theaters gewaltig steigerten.
Instinktiv dachte Jed über maximale Zuschauerzahlen und Feuerschutzbestimmungen nach, ehe er sich auf den Weg machte, um Dora in diesem Meer von Menschen zu finden.
Festivitäten dieser Art hatten noch nie zu Jeds Vorlieben gehört. Dazu hatte es in seiner Kindheit zu viele gesellschaftliche Ereignisse gegeben, an denen er gezwungenermaßen hatte teilnehmen müssen, zu viele demütigende Auseinandersetzungen zwischen seinen Eltern. Er hätte sich viel lieber einen gemütlichen Abend zu Hause gemacht, aber nachdem er sich nun schon einmal hierher gequält hatte, konnte Dora ihm wenigstens Gesellschaft leisten.
Wenn sie nicht so früh zu dieser Party aufgebrochen wäre – sie hatte ihrer Mutter bei den Vorbereitungen helfen müssen – hätte er mit ihr gemeinsam fahren und ein Auge auf sie haben können. Die Vorstellung, dass sie alleine unterwegs war, solange dieser Kerl noch frei herumlief, behagte ihm überhaupt nicht. Und obgleich sie auf dieser Party nicht allein war, machte er sich trotzdem Sorgen um sie. Deshalb war er ja auch gekommen.
Zwei Partys in einer Woche! Jed nippte an seinem Scotch und bahnte sich seinen Weg in den vorderen Teil des Theaters. Das war mehr, als er sich freiwillig in einem ganzen Jahr zugemutet hätte.
Als er nicht umhin konnte, sich zwischen zwei Walküren durchzuschlängeln, die ihm sofort eines dieser lächerlichen Papphütchen aufsetzen wollten – was er ablehnte –, überlegte er sich ernsthaft, ob er nicht auf dem Absatz umkehren und flüchten sollte. Doch dann sah er sie. Sie thronte mitten auf der Bühne und war in eine, wie es schien, intensive Unterhaltung mit zwei anderen Damen vertieft.
Sie hatte ihre Frisur verändert, bemerkte Jed. Das Haar war zu einem wilden Lockengebilde auf ihrem Kopf aufgetürmt, das sich jeden Moment aufzulösen drohte. Sie hatte
auch ihre Augen anders geschminkt, dachte er, während er zusah, wie sie die Hand einer ihrer Freundinnen ergriff und lauthals auflachte. Dora hatte sie größer und dunkler geschminkt, sie wirkten geheimnisvoll und erinnerten an eine Zigeunerin. Ihre Lippen leuchteten in einem gefährlichen Rot. Sie trug einen
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