Trainspotting: Roman (German Edition)
es auch; schon bald kreisten eine Reihe von Infektionen durch seinen Körper. Ihm war das egal. Venters machte so weiter wie immer. Er ging ins Hospiz, auf die Abteilung, wie wir es nannten; erst ambulant, dann mit einem eigenen Bett.
Jedesmal wenn ich mich ins Hospiz aufmachte, schien es zu regnen; ein nasser, eiskalter, hartnäckiger Regen und ein Wind, der einem durch die Klamottenschichten ging wie Röntgenstrahlen. Kälte bedeutet Erkältungen, und Erkältungen können den Tod bedeuten, aber damals war mir das egal. Jetzt achte ich natürlich auf mich. Damals hatte ich allerdings eine Mission, die meine ganze Aufmerksamkeit forderte; es gab etwas zu erledigen.
Das Gebäude des Hospizes ist nicht häßlich. Die grauen Steine sind mit einem hübschen gelben Ziegelwerk verkleidet. Allerdings ist die Straße, die dorthin führt, nicht mit Gold gepflastert.
Jeder Besuch bei Alan Venters brachte mich meinem letzten und meiner endgültigen Rache näher. Bald schon kam der Punkt, an dem die Zeit um war zu versuchen, eine von Herzen kommende Entschuldigung aus ihm herauszubekommen. Einmal glaubte ich sogar, daß ich eher Venters’ Reue wollte, als selbst an ihm Rache zu nehmen. Wenn ich diese Reue gesehen hätte, dann wäre ich im Glauben an das grundsätzlich Gute im Menschen gestorben.
Die verschrumpelte Hülle aus Haut und Knochen, die Venters’ Lebenskräfte enthielt, schien ein unpassendes Heim für eine irgendwie geartete Seele zu sein, geschweige denn für eine, in die man alle Hoffnungen für die Menschheit setzt. Doch ein geschwächter, verfallender Körper bringt angeblich die Seele näher an die Oberfläche und macht sie uns Menschen leichter erkennbar. Das jedenfalls hatte mir Gillian aus dem Krankenhaus erzählt, in dem ich arbeitete. Gillian ist ziemlich religiös, und eine solche Annahme paßt zu ihrem Glauben. Wir sehen alle nur das, was wir sehen wollen.
Was wollte ich eigentlich? Vielleicht war es schon immer Rache gewesen, nicht Reue. Und selbst wenn Venters wie ein plärrendes Baby um Vergebung geheult hätte, so hätte es doch nicht gereicht, mich von dem abzuhalten, was ich vorhatte.
Dieser innere Disput; eine Nebenwirkung der Therapie, die mir Tom angedeihen ließ. Er legte besonderen Wert auf Grundwahrheiten: Du stirbst noch nicht, du mußt dein Leben leben, bis es soweit ist. Dahinter steckte der Glaube, daß man die bittere Tatsache des nahenden Todes wegreden konnte, indem man versuchte, in das Jetzt des Lebens zu investieren. Damals habe ich das nicht geglaubt, heute schon. Per definitionem hat man zu leben, bis man stirbt. Am besten macht man also aus dem Leben etwas so Vollkommenes und Erfreuliches wie nur möglich, für den Fall, daß der Tod ziemlich beschissen ist, wovon ich mal ausgehe.
Die Schwester im Krankenhaus sah Gail ähnlich, einer Frau, mit der ich mal ging, auch wenn es eine ziemliche Katastrophe war. Sie hatte denselben kühlen Gesichtsausdruck. In ihrem Fall hatte sie gute Gründe dafür, weil sich darin berufliche Anteilnahme widerspiegelte. In Gails Fall war derartige Distanz unangebracht, wie ich finde. Diese Schwester jedenfalls sah mich ganz angestrengt, ernst und herablassend an.
– Alan ist sehr schwach. Bitte bleiben Sie nicht zu lange.
– Ich verstehe, sagte ich lächelnd, gütig und melancholisch. Da sie die sorgende Professionelle spielte, dachte ich, sollte ich den besorgten Freund spielen. Ich schien meine Rolle recht gut zu spielen.
– Er hat Glück, so einen guten Freund zu haben, sagte sie; offenbar war sie verwirrt darüber, daß so ein widerliches Stück Dreck überhaupt Freunde haben konnte. Ich murmelte irgendwas und betrat das kleine Zimmer. Alan sah schlimm aus. Ich machte mir echt Sorgen, war zutiefst besorgt, daß die Sau die Woche nicht überlebte, daß er sich vor dem fürchterlichen Schicksal drückte, das ich für ihn vorgesehen hatte. Das Timing mußte stimmen.
Am Anfang hatte es mir große Freude gemacht, Venters’ großen körperlichen Verfall zu beobachten. Wenn ich mal krank werde, lasse ich es nicht soweit kommen; bestimmt nicht. Eher laß ich den Wagen in der verschlossenen Garage laufen. Venters, das Arschloch, hatte nicht mal den Mut, die Geschichte aus eigener Kraft zu beenden. Er krallte sich lieber bis zum bitteren Ende daran fest, und sei es nur, um es allen nur noch schwerer zu machen.
– Alles klar, Al? fragte ich ihn. Eine wirklich blöde Frage. In den unpassendsten Augenblicken zwingt uns der Anstand zu den
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