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Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz Kostenlos Bücher Online Lesen
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dir nicht einmal vorstellen kannst. Zumindest dein Bruder, ein Säugling, wusste nicht, was geschah. Aber seine Mutter wusste es. In diesen letzten Momenten hat das Wissen um ihren herannahenden Tod, den Verlust ihres restlichen Lebens – den Verlust von dir –, ihre Qual gesteigert, sie weit über das Körperliche hinaus potenziert. Aber es müsste nicht so sein.«
    Alia funkelte Leropa an. »Das nennst du Liebe, uns diesen Horror aufzuzwingen?«
    Ihre Wortwahl schien Leropa tatsächlich zu verwirren. »Aufzuzwingen?«
    Drea verbarg den Kopf an der Schulter ihrer Schwester. »Mach, dass sie aufhört, Alia. Ich kann es nicht ertragen.«
    Die schattenhafte Frau schien die Hütte zu erblicken. Sie ging langsam auf sie zu, das Kind in den Armen. Sie wirkte verwirrt und erschöpft, als hätte sie große Strapazen durchgemacht. Doch durch die trüben, halb durchsichtigen Hüttenwände waren ihre Züge allmählich deutlicher zu erkennen.
    Leropa sagte: »Willst du dich nicht einmal von ihr verabschieden? Willst du ihr nicht sagen, dass es dir Leid tut?«
    »Leropa, ich flehe dich an.«
    Die Frau zögerte erneut. Sie hielt einen Moment inne und schaute sich um, wobei sie dem Kind in ihren Armen tröstende Worte zuzuflüstern schien. Dann wandte sie sich ab und ging davon. Ihre Gestalt wurde kleiner und verschwamm, bis sie fort war, als hätte sie nie existiert.
     
    Drea starrte Leropa aus tränennassen Augen wütend an. »Weißt du, was das Problem ist? Ihr Transzendenten seid so besessen von der Vergangenheit, dass ihr nicht auf Menschen hört. Ich habe die Nase voll davon, benutzt zu werden. Wenn ihr Transzendenten die Menschen der Vergangenheit als Müllabladeplatz für eure Schuldgefühle benutzen wollt, Leropa, dann solltet ihr sie vorher fragen. Ihr hättet Michael Poole fragen sollen, ob er seine Frau zurückhaben wollte!«
    Leropa seufzte. »Und wenn wir euch gefragt hätten? Würdest du dich dafür entscheiden, Alia, niemals auch nur die Möglichkeit zu haben, deine Mutter wiederzusehen? Vielleicht weigerst du dich jetzt – aber woher willst du wissen, wie du in zehn, fünfzig oder tausend Jahren empfinden wirst? Du wirst eine Unsterbliche sein, Alia; du hättest viel Zeit, eine solche Entscheidung zu bereuen.
    Und selbst wenn du die Entscheidung für dich selbst träfest, würdest du sie auch für andere treffen? Für deinen Vater zum Beispiel? Und was ist mit jenen, die du nie auch nur kennen gelernt hast – mit dem gesamten Rest der Menschheit? Du bist arrogant, Alia – was nicht unbedingt etwas Schlechtes ist –, aber ich glaube, dafür bist nicht einmal du arrogant genug. Also, was machen wir nun?« Sie lachte, ein seltsamer, trockener Laut. »Führen wir eine Abstimmung durch?«
    »Ernennt einen Repräsentanten«, sagte Alia spontan.
    Leropa funkelte sie an.
    Alia wurde es bang ums Herz, aber sie blieb fest. »Ich glaube, meine Schwester hat Recht. Die Erlösung dient nur der Transzendenz, nicht uns. Und in ihrem Streben nach Erlösung hat die Transzendenz die schlichte menschliche Moral aus den Augen verloren.« Halte ich einem Beinahe-Gott wirklich eine Standpauke? »Ernennt einen Repräsentanten, der für die anderen sprechen kann.«
    »Unmöglich«, sagte Leropa hochmütig. »Ein kleiner Sterblicher könnte nicht mit der Transzendenz verhandeln. Sie oder er verstünde wohl kaum, worum es geht, und wäre erst recht nicht imstande, eine begründete Entscheidung zu treffen.«
    »Du bist nicht besser als ich, Leropa«, fuhr Drea sie an, »du verhutzelte alte…«
    »Aber sie hat Recht«, fiel Alia ihr rasch ins Wort. »Hier geht es nicht um Rivalität, Drea, um eine Horde Menschen, die alle anderen herumkommandieren. Wir haben es mit der Transzendenz zu tun. Sie ist wirklich eine höhere Lebensform, ein höheres Bewusstsein. Du könntest ebenso wenig mit ihr diskutieren wie ein Grashalm mit dir.«
    »Aber du könntest es«, sagte Drea.
    Alia lächelte. Sie war müde. »Ich wäre sogar in einer noch schlechteren Position als du. Ich bin bereits ein Teil der Transzendenz – das stimmt, Drea, obwohl meine Wahl noch nicht abgeschlossen ist. Ich bin wie ein Neuron unter den vielen Milliarden in deinem Kopf.«
    »Ein sterbliches Geschöpf kann nicht mit seinem Gott verhandeln«, erwiderte Leropa. »Nur eine Transzendenz kann mit einer Transzendenz verhandeln.« Aber sie blickte Alia dabei in die Augen.
    Alia sah die Antwort dort. »Dann müssen wir den Repräsentanten der Transzendenz gleichwertig machen«,

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