Trauma
Carson schüttelte lächelnd den Kopf. »Ornwall weiß alles über Banken und Geldtransporter, aber ansonsten hat er die Weisheit nicht gerade mit Löffeln gefressen.«
»Offenbar noch nicht mal mit dem Teelöffel.«
»Er hat uns erzählt, auf die Idee ist er durch Edgar Allan Poes Geschichte ›Der entwendete Brief‹ gekommen. Wer würde erwarten, dass ein gesuchter Bankräuber unter dem Namen eines berühmten toten Kriminellen lebt?«
»Das FBI offenbar schon.«
»Schwierig war das nicht. Als wir Emory Ornwall das erste Mal verhaftet und nach Leavenworth geschickt haben, hatte er sich unter dem Namen Jesse James versteckt.«
»Unglaublich«, sagte ich.
»Die meisten Verbrecher«, meinte Carson, »sind keine großen Leuchten.«
»Noch etwas Kaffee?«, fragte Lorrie.
»Nein, danke, Ma’am. Ich sehe, Sie bereiten ein opulentes Abendessen vor, da will ich Ihnen nicht zu lange zur Last fallen. «
»Sie sind gerne eingeladen.«
»Das geht nicht, leider. Aber danke für Ihr freundliches Angebot. Also … wie gesagt, dieser Ornwall … mit Banken und Geldtransportern kennt er sich fantastisch aus, aber ein Stratege oder Taktiker ist er nicht. Beezo hat die Dinger geplant, und zwar absolut brillant.«
»Sie sprechen über unseren Beezo?«, vergewisserte Lorrie sich ungläubig.
»Wissen Sie, Ma’am, wir haben schon allerhand clevere Burschen gesehen, die auf die schiefe Bahn geraten sind, aber Beezo kann keiner das Wasser reichen. Vor dem haben wir einen gewaltigen Respekt.«
Das überraschte mich. »Er ist wahnsinnig!«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, sagte Carson, »wenn es jedenfalls darum geht, wirklich große Dinger zu drehen, ist er ein Genie. Es heißt ja, er wäre der größte Clown seiner Zeit geworden,
und offenbar hat er im Verbrechen ein Betätigungsfeld gefunden, für das er genauso geboren ist.«
»So, wie wir ihn erlebt haben, besteht er nur aus Gefühlen, vor allem aus Zorn. Vernunft war da nicht zu sehen.«
»Tja, Ornwall und die beiden Handlanger waren jedenfalls keine Genies. Sie hätten die meisten Dinger bestimmt verbockt, wenn Beezo nicht alles so gut vorbereitet und sie bei der Stange gehalten hätte. Er ist ein echtes Genie, sage ich Ihnen.«
»Tja, es war damals auch nicht ganz ohne, unser Haus mit Wanzen auszustatten und uns von Nedra Lamms Haus aus zu beobachten«, erinnerte mich Lorrie. Dann sah sie Carson an und stellte die entscheidende Frage: »Wo ist er jetzt?«
»Ornwall hat uns den Tipp gegeben, Beezo wäre nach Südamerika verschwunden. Wohin genau, wusste er nicht, und das ist ein großer Kontinent.«
»Als er mich in unserem Wagen bedroht hat, damals im Wald, da hat er mir erzählt, er wäre schon ’74 in Südamerika gewesen«, sagte Lorrie. »Nachdem er Dr. MacDonald umgebracht hatte.«
Carson nickte. »Damals hat er sechs Monate in Chile und zweieinhalb Jahre in Argentinien verbracht. Diesmal … es hat ein bisschen gedauert, aber wir haben ihn in Brasilien aufgespürt. «
»Sie haben ihn?«
»Nein, Ma’am. Aber wir kriegen ihn.«
»Ist er jetzt noch dort – in Brasilien, meine ich?«
»Nein, Ma’am. Er ist am Ersten dieses Monats abgereist, sechsunddreißig Stunden, bevor seine Tarnung aufgeflogen ist und wir seine Adresse in Rio hatten.«
Lorrie sah mich bedeutungsvoll an.
»Fast hätten wir ihn noch erwischt«, fuhr Carson fort, »aber er ist nach Venezuela entkommen, wo wir momentan allerhand Probleme mit dem Thema Auslieferungsverfahren haben. Ist
aber nicht so wild. Er kommt da nicht raus, wenn wir ihn nicht in Handschellen oder in einer Kiste rausschaffen.«
Nur die Angst um ihre Kinder konnte Lorries Gesicht so zusammenziehen, dass es an Glanz verlor. »Er ist nicht mehr in Venezuela«, sagte sie zu Porter Carson. »Morgen wird er irgendwann … hier sein.«
45
Sachertorte, in Kirschsaft brutzelnder Speck, dunkel gerösteter kolumbianischer Kaffee und der feine, saure Geruch einer durchdringenden Angst, der sich zudem als schwacher metallischer Geschmack manifestierte …
Bis zu diesem Augenblick war mir gar nicht bewusst gewesen, wie sehr ich gehofft hatte, dass Konrad Beezo tot war.
Ich hatte mir zwar eingeschärft, mich nicht in Sicherheit zu wiegen und aus Klugheit weiterhin damit zu rechnen, er könnte am Leben sein – unbewusst jedoch hatte ich ihm einen Pfahl durchs Herz getrieben. Ich hatte ihm eine Knoblauchzehe in den Mund gesteckt, ein Kruzifix auf die Brust gelegt und ihn mit dem Gesicht nach unten auf einem imaginären
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