Traumhaft verliebt - Roman
ihn. Jazzy war für ihn das Wichtigste. Er ließ die Hilfskraft stehen und lief weiter.
»Ähm … Mr. Walker … sie ist im Büro der Schulkrankenschwester. Ich bringe Sie hin.«
Er wusste, wo sich das Büro der Schulkrankenschwester befand. Er war öfter dort gewesen, als er zählen konnte. Jetzt stürmte er seinem Ziel entgegen und stieß ohne anzuklopfen die Tür auf. Zur Hölle mit der Höflichkeit! »Jazzy!«
»Daddy.« Ihre Stimme klang schwach, keuchend.
Er schob den weißen Vorhang beiseite, der an einer Schiene an der Decke befestigt war. Jazzy lag auf der Liege, die Lippen in der gewohnten dunklen Farbe, die blauen Augen vor Angst geweitet. In ihrer kleinen Nase steckte ein dünner grüner Sauerstoffschlauch. Eine Schwester in einem rosa Kittel mit braunen Teddybären stand neben Jazzy und maß ihren Puls. Travis’ Herz zog sich zusammen.
Seine Tochter streckte ihm die zerbrechlichen Ärmchen entgegen, und er machte einen letzten großen Schritt und schloss sie in die Arme. »Rufen Sie Dr. Adams an. Wir kommen zu ihm ins Krankenhaus«, blaffte er.
»Ich …«, sagte die Schwester.
»Tun Sie’s einfach«, fiel er ihr ins Wort.
Die Schwester nickte und eilte zu dem Telefon auf ihrem Schreibtisch, während Travis vorsichtig den Schlauch aus Jazzys Nase zog und sie zur Tür trug. Ihr Atem ging schnell, jedes Mal, wenn sie zitternd ausatmete, ertönte ein lang gezogenes Pfeifen. Ein vertrautes Geräusch, das er nur allzu gut kannte. Sie klang wie jemand, der seit dreißig Jahren drei Schachteln Zigaretten am Tag rauchte.
Er drückte sie an sich und konnte ihre zarten Armknochen durch ihre weiche Haut hindurch spüren. Gott, sie war so verletzlich, sein zäher kleiner Engel. Travis verließ steifbeinig die Schule und ging auf den braunen Pick-up mit der großen Fahrerkabine zu, den ihm der Staat Texas für seine Tätigkeit als Jagdaufseher zur Verfügung gestellt hatte.
»Alles wird gut, Süße«, murmelte er, den Mund dicht an ihrem Ohr. »Daddy ist da.«
Sie klammerte sich an ihn und vergrub ihr Gesichtchen an seinem Hals. Er konnte ihren Kleinmädchenduft riechen, so süß und unschuldig. Sie mochte zwar schon acht Jahre alt sein, aber sie wog kaum zwanzig Kilo. Er schnallte sie in ihrem Autositz an, dann lief er um den Wagen herum zur Fahrerseite. Travis drückte aufs Gas; einerseits wollte er sie so schnell wie möglich in die Notaufnahme bringen, andererseits wollte er sie nicht beunruhigen.
Jazzy war äußerst feinfühlig und nahm sehr schnell die Gefühle ihrer Mitmenschen wahr. Sie hatten das jetzt so viele Male durchgemacht, dass es fast zur Routine geworden war. Dennoch durfte er ihre Krankheit nicht als Alltag betrachten. Jeder mühsame Atemzug, den seine Tochter machte, konnte ihr letzter sein.
Eine Erinnerung kam in ihm hoch, scharf und schmerzlich, wie so oft, wenn seine Tochter in akute Atemnot geriet. Er dachte an seine Mutter, Penelope Walker, die fast seine gesamte Kindheit über an schwerem Asthma gelitten hatte. Es war ein ganz normaler Bestandteil seines Lebens gewesen, nichts Besonderes, dass ihre zahlreichen Allergien sie davon abgehalten hatten, mit ihm in den Park zu gehen wie andere Mütter oder sich seine Spiele bei der Little League anzuschauen.
Doch trotz ihres Zustands war seine Mutter ein Goldstück gewesen. So hatte sein Vater sie stets genannt: sein Goldstück. Strahlend und treu, etwas, auf das man zählen konnte. Sie lächelte jeden Tag und war eine vielfältige Künstlerin: Sie zeichnete mit Kohle auf weißes Wachspapier und fing Travis’ Silhouette ein, während er vom Baby zum Kleinkind, dann zu einem Jungen mit Zahnlücken und später zum schlaksigen Vorpubertierenden wurde. Sie verzierte seine Schlafzimmerwände mit selbst gemalten Lastwagen, Flugzeugen und Rennautos. Sie strickte mit Merinowolle, Mohair, Angora und Alpaka, machte Schals und Fausthandschuhe, Umschlagtücher und Pullover, Socken und Mützen in allen Regenbogenfarben. Die einheimischen Frauen, denen es an Talent oder Zeit fehlte, ihre eigenen Sachen herzustellen, kamen jede Woche zu ihnen, um die Dinge zu kaufen, die seine Mutter gefertigt hatte.
Penelope verbrachte die meisten Tage im Bett oder auf dem Sofa, zeichnete und malte und strickte, wenn ihr das Asthma nicht gerade den Atem raubte. Wenn er als kleiner Junge zum Schmusen in ihr Bett gekrabbelt kam, hatte er aufpassen müssen, sich nicht eine Stricknadel ins Knie zu stechen, ihre Kohle zu zerbrechen oder gar ihr Sauerstoffgerät zu
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