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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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Kreis nieder und begannen, mit gedämpften Stimmen zu sprechen. Während Arkady auspackte, ging ich etwas Brennholz hacken.
    Ich hatte das Feuer angemacht und dabei Rinde und Gras zum Anzünden benutzt, als vom Lagerplatz der Frauen ein Höllenlärm herüberdrang. Alle schrien und brüllten, und vor dem Licht ihrer Feuerstellen konnte ich Mavis erkennen, der hin und her sprang und mit wilden Bewegungen auf etwas am Boden zeigte.
    »Was ist los?« rief Arkady zu Marian hinüber.
    »Eine Schlange!« rief sie fröhlich zurück.
    Es war nur eine Schlangenspur im Sand, aber das war Schlange genug, um die Frauen hysterisch zu machen.
    Auch die Männer wurden nervös. Sie folgten Big Toms Beispiel und sprangen auf. Alan spannte erneut das Gewehr. Die beiden anderen bewaffneten sich mit Stökken, durchsuchten den Sand, flüsterten mit heiseren, aufgeregten Stimmen und schwenkten ihre Arme wie Laienschauspieler in einem Shakespeare-Stück.
    »Beachten Sie sie nicht«, sagte Arkady. »Sie spielen sich nur auf. Wie auch immer, ich glaube, ich werde auf dem Dach des Landcruisers schlafen.«
    »Angsthase!« sagte ich.
    Ich selbst rollte eine »schlangensichere« Zeltbahn aus, um darauf zu schlafen, und band jeden Zipfel an einem Busch fest, so daß ihre Ränder ein Stück über dem Boden hingen. Dann bereitete ich das Abendessen zu.
    Das Feuer war viel zu heiß, um Steaks zu grillen, ohne daß sie verbrannten: ich hätte mich beinahe selbst verbrannt. Alan sah mit meisterhafter Gleichgültigkeit zu. Keiner der anderen bedankte sich auch nur mit einem Wort für das Essen, aber sie hielten mir immer wieder ihre Teller hin, um einen Nachschlag zu bekommen. Als sie schließlich gesättigt waren, nahmen sie ihre Beratung wieder auf.
    »Wissen Sie, woran sie mich erinnern?« sagte ich zu Arkady. »An eine Runde von Bankdirektoren.«
    »Das sind sie ja auch«, sagte er. »Sie entscheiden darüber, wie wenig sie uns geben wollen.«
    Das Steak war verbrannt und zäh, und nach dem Lunch bei Hanlon hatten wir kaum Appetit. Wir räumten auf und gesellten uns zu dem Kreis der alten Männer. Der Feuerschein erhellte ihre Gesichter. Der Mond ging auf. Wir konnten nur eben die Silhouette des Berges erkennen.
    Wir saßen schweigend da, bis Arkady den Moment für gekommen hielt und, an Alan gewandt, mit leiser Stimme auf englisch fragte: »Und wie geht die Geschichte von diesem Platz, alter Mann?«
    Alan starrte mit reglosem Gesicht ins Feuer. Die glänzende Haut spannte sich straff über seinen Wangenknochen. Dann neigte er den Kopf fast unmerklich zu dem Mann in Blau, der aufstand und die Reisen des Eidechsen-Ahnen mimisch darzustellen begann (wobei er hin und wieder Pidgin-Wörter einwarf).
    Das Lied erzählte davon, wie der Eidechsenmann und seine liebliche junge Frau aus dem Norden Australiens bis zum südlichen Meer gewandert waren und wie ein Bewohner des Südens die Frau verführt und ihn mit einem Ersatz nach Hause geschickt hatte.
    Ich weiß nicht, was für eine Art Echse er gewesen sein soll: ob er eine »Judenechse« war oder ein »Erdkuckuck« oder eine von den runzligen Echsen mit dem bösen Blick und der Halskrause. Ich weiß nur, daß der Mann in Blau die Eidechse so lebensecht nachmachte, wie man sie sich besser nicht vorstellen konnte.
    Er war Männchen und Weibchen, Verführer und Verführte. Er war ein Vielfraß, ein Hahnrei, ein müder Wanderer. Er krallte seine Echsenfüße seitlich in die Erde, erstarrte und reckte den Kopf. Er schob das untere Lid über die Iris und ließ seine Eidechsenzunge hervorschnellen. Er ließ seinen Hals zornig zu einem Kropf anschwellen, und schließlich, als es für ihn Zeit zum Sterben war, zuckte er und wand sich, bis seine Bewegungen immer kraftloser wurden, wie die des Sterbenden Schwans.
    Dann klappte sein Kiefer zusammen, und das war das Ende.
    Der Mann in Blau winkte in Richtung des Berges, und mit dem triumphierenden Tonfall dessen, der die beste aller Geschichten erzählt hat, rief er: »Da … da ist er!«
    Die Vorführung hatte nicht länger als drei Minuten gedauert.
    Der Tod der Eidechse berührte uns und machte uns traurig. Aber Big Tom und Timmy waren seit der Episode mit dem Frauentausch völlig aus dem Häuschen und johlten und kicherten noch lange, nachdem der Mann in Blau sich gesetzt hatte. Sogar das resignierte, schöne Gesicht des alten Alan verzog sich zu seinem Lächeln. Dann gähnten sie einer nach dem anderen, breiteten ihre Bündel aus, rollten sich zusammen und

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