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Traumschlange

Titel: Traumschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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behalten.«
    »Gut«, sagte Schlange. »Der Vorderhuf braucht so bald wie möglich ein neues Eisen.«
    »Ich habe zum Hufschmied geschickt, damit er am Nachmittag kommt.«
    »Das ist großartig.«
    Sie betrat Eichhörnchens Verschlag. Er schnupperte an ihr und fraß das Stück Brot, das sie ihm mitgebracht hatte. Sein Fell glänzte, seine Mähne und der Schweif waren gekämmt, seine Hufe sogar eingefettet.
    »Jemand hat sich sehr eingehend um ihn gekümmert.«
    »Wir geben uns Mühe, um dem Bürgermeister und seinen Gästen alles recht zu machen«, sagte der riesenhafte Mann.
    Betulich blieb er in der Nähe, bis Schlange den Stall verließ, um die Stute hereinzuholen. Wind und Eichhörnchen mußten langsam wieder an Weiden gewöhnt werden, oder sie würden nach dem langen Aufenthalt in der Wüste am Gras erkranken. Als sie zurückkehrte – sie ritt Wind ohne Sattel, lenkte die Stute mit den Knien –‚ hatte der Stallmeister in einem anderen Teil des Gebäudes zu tun. Schlange sprang vom Rücken der Stute und führte sie in ihren Vorschlag.
    »Ich war‘s, Herrin, nicht er.«
    Überrascht drehte sich Schlange um, aber wer hier zu ihr geflüstert hatte, befand sich weder im Verschlag noch im Durchgang.
    »Wer ist da?« fragte Schlange.
    »Wer bist du?«
    Sie betrat wieder den Verschlag und hob den Blick, und da sah sie die Öffnung im Dach, durch welche man Futter hinabwarf. Sie stieg auf die Futterkrippe, packte den Rand der Öffnung und zog sich hoch, so daß sie den Dachboden einsehen konnte. Erschrocken wich eine kleine Gestalt zurück und verbarg sich hinter einem Heuballen.
    »Komm her«, sagte Schlange. »Ich will dir doch nichts tun.«
    Sie befand sich in einer lächerlichen Lage, sie hing mitten über dem Verschlag, während Wind an ihrem Stiefel nagte, und hatte nirgendwo einen Ansatzpunkt, um vollends hinaufklettern zu können.
    »Komm herunter«, sagte sie und ließ sich zurück auf den Fußboden fallen. Von unten vermochte sie nochmals die Gestalt der Person auf dem Dachboden zu erkennen, aber nicht das Gesicht. Ein Kind, dachte sie. Nur ein kleines Kind.
    »Es ist nichts weiter, Herrin«, sagte das Kind. »Er tut bloß immer so, als mache er alle Arbeit und niemand würde ihm helfen, das ist alles. Es ist nicht weiter schlimm.«
    »Bitte, komm runter«, sagte Schlange nochmals. »Du hast an Wind und Eichhörnchen ausgezeichnete Arbeit geleistet, und ich möchte dir danken.«
    »Das ist Dank genug, Herrin.«
    »Nenn mich nicht so. Mein Name ist Schlange. Und wie heißt du?« Aber das Kind war fort.
    Als sie wieder die Höhe der Klippe erreichte – wobei sie Wind am Zügel führte –‚ warteten bereits Leute aus dem Ort auf sie, sowohl Boten wie Patienten. Heute durfte sie nicht in Ruhe frühstücken. Bis zum Abend bekam sie ziemlich viel von Berghausen zu sehen. Einige Stunden lang hintereinander arbeitete sie angestrengt, zügig und zugleich unermüdlich, aber in zufriedener Stimmung, doch dann, als sie schließlich mit einem Patienten fertig war und sich dem nächsten Kranken widmen wollte, befiel sie plötzlich eine furchtbare Spannung, und sie sorgte sich, diesmal wieder jemandem helfen zu sollen, der dem Tode geweiht war, so wie Jesse, dem sie nicht zu helfen vermochte. Aber an diesem Tag geschah nichts dergleichen.
    Am Abend ritt sie auf Wind am Fluß entlang nordwärts, an der einen Ortshälfte zu ihrer Linken vorbei, während der Glanz der Sonne hinter die Wolken sank und die westlichen Berggipfel berührte. Lange Schatten krochen ihr entgegen, als sie zu den Weiden und Ställen des Bürgermeisters gelangte. Da sich nirgends jemand blicken ließ, geleitete sie Wind selbst in den Verschlag, nahm der Stute den Sattel ab und begann ihr glattes, gesprenkeltes Fell zu bürsten. Sie hatte es nicht besonders eilig, ins Haus des Bürgermeisters zurückzukehren, in dessen Atmosphäre zäher Treue und undurchschaubarer Nöte.
    »Herrin, das ist keine Arbeit für dich. Laß mich das machen. Geh nach oben auf den Berg.«
    »Nein, komm du herunter«, erwiderte Schlange der körperlosen Flüsterstimme. »Du kannst mir helfen. Aber nenn mich nicht ›Herrin‹.«
    »Geh, Herrin, bitte.«
    Schlange bürstete Wind an der Schulter und gab keine Antwort. Als nichts geschah, glaubte sie, das Kind sei wieder verschwunden; dann jedoch vernahm sie über sich im Heu ein Rascheln. Aufgrund einer Eingebung strich sie die Bürste rückwärts über Winds Flanke. Einen Moment später stand das Kind neben ihr, nahm ihr

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