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Traumzeit

Traumzeit

Titel: Traumzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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nicht mit ihm rechnen. Er wird mich verlassen. Er muß mich früher oder später verlassen.
    Aber auch wenn Ivy Dearborn nichts besaß, so hatte sie doch zumindest ein Talent: Sie konnte malen.
    Solange Ivy denken konnte, hatte sie davon geträumt, eine Künstlerin zu sein. Selbst in der Kindheit, als ihre Familie sich noch in England mit dem Lohn des Vaters, der als Bergarbeiter wenig genug verdiente, mühsam über Wasser hielt, hatte Ivy in jeder freien Minute gezeichnet. Als sie sich auf die lange Reise in die australischen Kolonien machten, waren sie, ihre Mutter und die fünf Brüder und Schwestern voller Illusionen, die der Vater, Daniel Dearborn, mit seinen glühenden Reden in ihnen geweckt hatte. Er sprach überzeugend und mitreißend von einem märchenhaften Leben und den unbegrenzten Möglichkeiten, die sie in Australien erwarteten. Er werde Gold schürfen, hatte er gesagt, und sie würden reich sein. In Ivys kleinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sie hatte kühne Träume und entwickelte großen Ehrgeiz. Ich werde auf die Kunstakademie gehen, dachte sie, ich werde eine berühmte Malerin werden. Aber aus Daniel Dearborns Plänen wurde nichts. Er scheiterte an der harten Wirklichkeit. Er und zwei seiner Söhne fielen in Ballarat dem Typhus zum Opfer. Eine Tochter starb ein Jahr darauf im Kindbett. Die zweite Tochter machte sich auf den Weg nach Tasmanien, und man hatte nie mehr etwas von ihr gehört. Ivy blieb mit ihrer Mutter und dem jüngeren Bruder allein zurück.
    Sie kamen nach Melbourne, weil sie im Busch nicht überleben konnten. Mrs. Dearborn übernahm in einer kleinen Wohnung hinter der Collins Street Näharbeiten und starb, ehe sie fünfzig war. Der Bruder fuhr enttäuscht und verbittert allein nach Neuseeland und ließ Ivy zurück.
    Ivy versuchte noch einmal, ihren Traum zu verwirklichen. Sie nahm jede Anstellung, die sie finden konnte, und arbeitete in Mittelklassehaushalten als Mädchen für alles. Der Lohn reichte kaum zum Leben, und die Arbeitszeit war so lang, daß sie nie einen Augenblick für Bleistift und Papier fand. Innerlich zermürbt und entmutigt wurde Ivy von Hoffnungslosigkeit gepackt. Und deshalb fiel sie wohl auch auf einen gutaussehenden jungen Goldgräber herein, der eines Tages erschien und ein Auge auf sie warf. Ivy glaubte voller Naivität, daß sie bei diesem Mann Sicherheit finden werde.
    Aber als sie schwanger wurde, lief er davon. Ivy wachte eines Morgens auf und war mit ihrem kleinen Kind allein. Nur dem Glück hatte sie es zu verdanken, daß zwei freundliche Menschen ihren Weg kreuzten, ein Ehepaar, das keine eigenen Kinder bekommen konnte. Die beiden wollten Ivys Baby ein gutes Zuhause geben. Damit war Ivy wieder frei und konnte sich Arbeit suchen. Nach einigen Jahren in unbefriedigenden Stellungen – in vielen war ihr Verbleiben abhängig von besonderen Gunstbeweisen gegenüber dem Hausherrn – vertauschte Ivy die Stadt mit dem Land, wo niemand sie kannte. Finnegan, ein reicher Wirt, gab ihr in seinem Pub eine Chance, und bereits kurze Zeit später fiel sie Frank Downs auf.
    Damals war ihr Traum, Malerin zu werden, wieder erwacht. Nachdem sie mit Frank zusammenlebte, stellte Ivy fest, daß sie endlich die Zeit und das Geld hatte, um diesen Traum zu verwirklichen. Die Wohnung bestand aus einer Küche, einem Wohnzimmer, einem Schlafzimmer und einem Eßzimmer, das Ivy in ein Atelier verwandelte. Dort fiel das strahlende Sonnenlicht durch ein gewölbtes Erkerfenster auf ihre Staffelei, auf die Farben und die Stapel aufgezogener Leinwände. Ivy hatte keine anderen Verpflichtungen, als Frank zu unterhalten. Sie nutzte die viele freie Zeit und die Möglichkeiten und machte sich mit Feuereifer ans Malen. In den Jahren, die seitdem vergangen waren, hatte sie ihr Talent entdeckt. Sie sah mit einem neu erwachten Selbstbewußtsein in ihren Arbeiten etwas Außergewöhnliches. Und sie stellte etwas Ernüchterndes fest: Niemand interessierte sich für Bilder, die von einer Frau gemalt waren.
    Deshalb befand sich Ivy in einem Dilemma, als sie an diesem wolkigen Augusttag auf den überfüllten Gehwegen durch Melbourne lief. Sie fand keine Arbeit, die ihr einen festen Lohn einbringen würde, und sie hatte sehr wenig gespart. Sie überlegte, ob sie es ertragen würde, weiterhin für Frank zu arbeiten und Karikaturen für die
Times
zu zeichnen, wenn er sie verlassen hatte. Aber im Grund war diese Frage gegenstandslos, denn das erschien ihr unmöglich.
    Um die Teezeit stand Ivy

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