Treffpunkt Irgendwo
Häusern hindurchpfiff. Ich hatte meine warm gefütterte Jack-Wolfskin-Jacke bis zum Hals zugezogen und war froh über meinen dicken Fleeceschal. Len dagegen trug lediglich ein graues Kapuzensweatshirt unter seiner schwarzen Motorradlederjacke. Er hatte die Schultern hochgezogen, man konnte direkt sehen, wie durchgefroren er war. Mia hatte recht behalten, das Tief mit der kalten Luft aus Skandinavien hatte noch einmal einen eisigen Winter nach Berlin gebracht. Trockene, schneidende Kälte, die jeden fertigmachte. Dabei sehnten sich alle nach den ersten Sonnenstrahlen nach dem langen Wintergrau und ein bisschen Wärme.
Ich schloss die große braune Eingangstür des großen grauen Altbaus auf und schweigend gingen wir das Treppenhaus hinauf. Das rote Linoleum war abgenutzt, die Wände rostbraun gestrichen.
Die Wohnung von Herrn Schultze lag im zweiten Stock. Mit einem etwas mulmigen Gefühl öffnete ich die Tür.
Der Flur dahinter war dunkel. Ich taste nach einem Lichtschalter, fand ihn und träge erglühte eine Energiesparlampe im hinteren Teil des langen Ganges. Die ganze rechte Wand entlang standen gefüllte Regale, links gingen Türen ab und hinten am Ende des Flurs noch eine Tür nach rechts.
Vorsichtig betraten wir den grauen Teppichboden. Len schloss hinter mir die Tür.
Die Wohnung umfasste zwei Zimmer, Küche, Bad, wie wir bei unserem kleinen Rundgang feststellten. Links neben dem Eingang ein kleines Schlafzimmer, dann Küche und Bad, beides zum Innenhof und am Ende des Ganges ein großes Wohnzimmer mit Balkon hinaus zur Straße.
»Merkwürdig geschnitten die Wohnung, oder?«
»Wiederaufbau, damals haben die aus einer großen Wohnung viele kleine gemacht«, erklärte mir Len.
»Und, wie findest du es?«, fragte ich.
»Der Kerl war echt ein Messie«, antwortete mir Len mit Blick auf den Stapel alter Videorekorder. Sicher dreißig oder vierzig von diesen alten Geräten waren im Wohnzimmer gestapelt, für die heute sicher niemand mehr Verwendung hatte. Daneben Zeitungsberge, hohe Stapel von Büchern und Heftchen. Es roch muffig und irgendwie nach Keller, obwohl die Wohnung sauber war. Doch von all den Sachen, auch von dem alten Sofa, ging ein besonderer Muff aus.
»Ob die Heizung geht?«, überlegte ich laut und bahnte mir einen Weg zur Balkontür. Links und rechts der Tür waren zwei Heizkörper angebracht. Ich drehte am Regler und spürte, wie augenblicklich die Wärme an meiner Hand vorbei durch die Rohre schoss.
»Heizung geht, Strom geht, eigentlich ganz okay, oder?«
»Hab was Schlimmeres erwartet.« Len nickte.
»Ist ja nur für den Übergang.«
»Stimmt. Komm setzen wir uns.«
Wir ließen uns nebeneinander aufs Sofa sacken und dann saßen wir da. Es war eine total bescheuerte Situation. Keiner von uns wusste, was er sagen, und noch weniger, was er nun machen sollte. Zu meiner Erleichterung stemmte sich Len jedoch umgehend wieder hoch und sagte: »Auf, machen wir in Küche und Bad auch die Heizung an. ’ne Dusche wäre ganz gut und dann können wir ja noch einkaufen und ich koche uns was.«
»Du kannst kochen?«
»Nicht wirklich, aber es gibt bei Aldi Dosensuppen. Vorne an der Turmstraße habe ich einen gesehen.«
Die Küche war klein, aber zweckmäßig. Der Kühlschrank mit kleinem Gefrierfach stand offen. Doch als wir den Stecker gefunden hatten und Len ihn in die Steckdose drückte, sprang er brummend an.
»Hey, Herr Schultze hat vor seinem Tod noch einmal eingekauft.« Len hatte die Tür zu einer kleinen Vorratskammer gefunden.
Ich lugte an ihm vorbei in die kleine Kammer. Tatsächlich. In den Regalen massenweise Dosen: Ravioli, Königsberger Klopse, Pichelsteiner Eintopf, Hühnersuppe, Erbsensuppe, sowie eingemachtes Gemüse und Früchte.
»Meinst du, da dürfen wir uns bedienen?«, fragte mich Len.
»Logisch. Der Mann ist tot. Es gab keine Erben«, antwortete ich ihm. »Hat Mia mir erzählt. Das hier wird demnächst modernisiert, kommt alles auf den Müll. Je weniger die rausräumen müssen, umso besser, würde ich mal sagen.«
»Dann mache ich uns eine Suppe heiß. Hühnersuppe, darauf habe ich jetzt richtig Bock.« Len griff sich zwei Dosen, im großen dunkelbraunen Küchenbuffet fand er Topf und Dosenöffner. Keine fünf Minuten später saßen wir am Tisch in der inzwischen gemütlich warmen Küche und löffelten überraschend leckere, heiße Hühnersuppe aus Blümchentellern. Es war schön zu sehen, wie Lens Gesicht langsam Farbe bekam. Er aß drei Teller, dann legte er
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