Trennung ohne Rosenkrieg - ein psychologischer Wegweiser
miteinander in Kontakt zu bleiben, ein schlechtes Gewissen auszugleichen oder den anderen zu kontrollieren? Nur Sie selbst kennen die Antworten. Diese sind für Sie wichtig, damit Sie wissen, wo Sie stehen. Es ist völlig normal, noch nicht wirklich gelöst zu sein. Sie werden sich fragen: »Wie verbunden bin ich eigentlich noch oder wie gelöst bin ich schon?« Das Fortschreiten der emotionalen Trennung istnicht nur für die Erwachsenen, sondern auch für das Wohlbefinden der Kinder wichtig. So wie Eltern es nach und nach schaffen, sich als getrennt oder geschieden zu definieren, werden auch die Kinder die Situation nicht mehr als so bedrückend oder unheilvoll erleben und sich stabilisieren.
Die Rolle des Getrennten ist noch neu und in der Regel von einem nicht freiwillig erworben. Sie fragen sich: »Wer bin ich jetzt eigentlich, wenn ich nicht mehr die bin, die ich mal war, und noch nicht die, die ich gerade werde?« Sie fühlen sich im Übergang, so, als wenn sie sich häuten. In diesen Phasen erleben sich viele ungeschützt und verletzlich. Gleichwohl merken sie, dass etwas Neues, eine neue Haut entsteht; die Identität wandelt sich.
Obwohl die Rolle der Getrennten oder Geschiedenen ungewohnt und ungeliebt ist, kreisen unsere Gedanken und Gefühle anfangs nur um diesen neuen Zustand. Wir haben uns einen Tunnelblick zugelegt. Andere, bereits vorhandene Rollen, Lebensbezüge, Eigenschaften und Fähigkeiten oder auch neu erworbene Rollen oder Kompetenzen nehmen wir zu wenig wahr. So kann es sein, dass wir inzwischen Tante oder Onkel, Großmutter oder Großvater, Abteilungsleiter oder Chefin, Koch oder Handwerkerin, neue Freundin oder Freund, Spaziergänger oder Kirchgängerin, Kartenspielerin oder Puppenspieler, Liebhaber oder Liebhaberin geworden sind … und es gar nicht mehr realisieren, was alles, außer der Rolle der Getrennten, zu uns als Person dazugehört.
▶ ÜBUNG: ICH BIN GETRENNT, WER ODER WAS BIN ICH NOCH?
Sie sind auf dem Weg zu lernen, sich als getrennt oder bereits geschieden zu definieren. Nehmen Sie ein
großes Blatt Papier und schreiben Sie in die Mitte mit Ihrer Lieblingsfarbe und großen Buchstaben Ihren Vornamen. Nun gestalten Sie Ihr Bild, indem
Sie irgendwo auf dem Blatt »getrennt« schreiben. Anschließend sagen Sie immer wieder laut den Satz »Ich bin getrennt, wer oder was bin ich
noch?« und schreiben alle Ihre zusätzlichen Rollen, Eigenschaften, Tätigkeiten und Fähigkeiten dazu. Zum Schluss verbinden Sie alle Begriffe mit einer Linie.
Beispiel:
Meistens dauert die emotionale Lösung nach einer Trennung mehrere Jahre. Auch eine kurze, intensive Beziehung, die von einer
starken Idealisierung, symbiotischer Verschmelzung und Aufwertung des Selbst geprägt war, kann schwer aufgegeben werden, da sie das Selbst stabilisiert
hat. Entsprechend der Idealisierung und Aufwertung folgen in der Trennung massive Abwertungen und Schuldzuweisungen. Loslassen ist ein gedanklicher und
gefühlsmäßiger Prozess und erfordert Trauerarbeit, aber auch eine kognitive Entscheidung. Denken Sie an die banale, aber folgerichtige Aussage: Wer
loslässt, hat die Hände frei .
▶ ÜBUNG: WAS WÜRDE PASSIEREN, WENN ICH MICH ENDGÜLTIG LÖSE…?
Stellen Sie sich vor, Sie gehen heute Abend zu Bett und in der Nacht geschieht ein kleines Wunder: Sie wachen am Morgen auf und haben die Gewissheit, dass Sie von Ihrem Partner/Ihrer Partnerin emotional gelöst sind. Sie sind frei. Welche Gefühle nehmen Sie wahr? … Was tun Sie als Erstes? … Wer wird es als Erster bemerken, dass Sie emotional gelöst sind? … Woran? … Wie gestalten Sie Ihren ersten »Geburtstag in emotionaler Freiheit«? Nehmen Sie sich Zeit für Ihre auftauchenden Bilder und Gefühle. Sie sind Wegweiser für Ihre weitere Loslösung:
Achten Sie in der nächsten Woche darauf, wie die Tage aussehen, an denen Sie sich wenig bis gar nicht mit Ihrer Trennung beschäftigen. Womit beschäftigen Sie sich stattdessen?
Gut gemeinte Ratschläge wie »Du musst endlich loslassen« oder »Sie hat es nicht verdient, dass du dich so lange mit ihr beschäftigst« sind leichter gesagt als umgesetzt . Lassen Sie sich nicht drängen. Jeder hat sein eigenes Tempo. Zudem ist es notwendig, sich erst einmal bewusst zu werden, woran noch festgehalten wird und was genau losgelassen werden will. Und noch eine wichtige Überlegung: Wird es sich überhaupt lohnen, ohne das Zurückgelassene auszukommen?
▶▶ Beispiel: Ich bleibe, was ich bin, verbittert
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