Trias
Tattoo nahm die Verfolgung auf. Plattnase warf sich in den Passat, wendete mit quietschenden Reifen und versuchte, dem fliehenden Agenten, von einer Nebenstraße kommend, den Weg abzuschneiden. Die Tasche eng an sich gepresst, schlug Strachow Haken wie ein Feldhase vor englischen Jagdhunden. Er sprang über Gartenzäune, trampelte über Beete, landete in einer grell beleuchteten Pfütze, rappelte sich wieder auf, sprintete quer über die Straße auf das nächste Grundstück. Sein Verfolger blieb dicht an ihm dran. Das Keuchen der beiden Männer war deutlich zu hören, ihre Schuhabsätze klackerten wie bei einem rasanten Stepptanz auf den Steinen. Strachow sah nun die vierspurige Autostraße in einem Abstand von wenigen hundert Metern vor sich. An ihr hatte am Abend zuvor bereits Alister Hu McCann gestanden und nach der Ermordung von Paul Hess ein Taxi genommen. Wie die Öffnung eines Tunnels erschien ihm die rettende Straße, er konzentrierte sich ganz auf den Punkt, an dem er seine Verfolger hoffentlich abschütteln würde.
In rasanter Fahrt und mit einem unerhörten Satz flog der weiße LKA-Passat über die Geschwindigkeitsschikane einer Nebenstraße direkt auf den Weg, auf dem Strachow entlanghetzte. Der BND-Agent prallte in vollem Lauf auf die Frontpartie des Wagens. Die Tasche mit dem Explosionszünder segelte durch die Luft. Sie schlug hart auf dem Asphalt auf. Strachow rollte mit einem unfreiwilligen Salto über die Motorhaube, prallte an einen Gartenzaun und fiel wie ein nasser Sack zu Boden. Dort blieb er mit eingedrücktem Brustkorb, mehreren gebrochenen Rippen und stark blutendem Kopf regungslos liegen. Und dann gab es einen ungeheuren, Ohren betäubenden Knall.
Über die Häuser hinweg sahen die beiden Kriminalbeamten meterhohe Flammen und dichten schwarzen Qualm aufsteigen. Sie ließen den verletzten Agenten liegen, warfen sich in ihr Auto und rasten in Richtung der Katastrophe. Beide Etagen des Hauses von Paul Hess klafften weit auseinander. Steine, Holz, Glas, Mobiliar und der gänzlich zerstörte Hausrat lagen mehr als 100 Meter in den Nachbarschaftsgärten verstreut. Durch das rechte Nachbarhaus zog sich, wie nach einem Erdbeben, ein Riss vom Untergeschoss bis zum Dachfirst. Vom Haus des ehemaligen BND-Referatsleiters Paul Hess standen nur noch drei Stützbalken. Da der Explosionspunkt in der geschlossenen Garage lag, war die Wucht der Druckwelle nach außen abgemildert worden. Dennoch hatte die Explosion den beinahe zwei Tonnen schweren BMW mit solch einer Wucht angehoben, dass er die Garagendecke zertrümmert hatte und durch den Fußboden zu den Wohnetagen geschossen war. Da Strachow die 100-Kilo-Sprengladung direkt neben dem Tank angebracht hatte, entzündeten sich zusätzlich noch 60 Liter Benzin. Die hoch aufschlagenden Flammen fraßen sich gierig durch verstreute Reste von Couchen, Sitzbezügen und Bettdecken, durch Kissen, Bücher, Regale, Schränke und Wände.
Eine halbe Stunde später sicherten Feuerwehr, Polizei und Kriminalbeamte den Explosionsort ab und versuchten, erste Spuren zu sammeln. Strachow war inzwischen ins Klinikum München-Harlaching gebracht und dort notärztlich versorgt worden. Mit einem ersten Verhör, so hieß es, war nicht vor einer Woche zu rechnen.
Als BKA-Vize Kaltenborn in Berlin vom Ausgang der Operation erfuhr, war er mehr als unzufrieden. In seinen Augen musste es doch möglich sein, einen Verdächtigen auch unverletzt festzunehmen. Auf die Statistik ihrer Ermittlungen ließ er zwar nichts kommen, doch rühmen konnte sich sein Team damit nicht. Er sah bereits den Innenminister vor sich, der voller Bedenken und zögerlicher Kritik altklug mit dem Kopf schaukelte.
Kaltenborn verabredete mit dem Chef des Bundesnachrichtendienstes, Rubens, ein Treffen in der Münchner Klinik und landete zwei Stunden später auf einem kleinen Militärflughafen in der Nähe von Fürstenfeldbruck.
Aus dem Faxgerät des Einsatzstabes in Berlin knatterte um 6 Uhr 18 das dritte Schreiben des Erpressers. Darin hinterließ er lediglich eine Telefonnummer, auf der man ihn ab heute, 15 Uhr deutscher Zeit, erreichen könne. Croy informierte sofort Entschlüsselungsspezialisten, die die Nummer prüften. Sie stießen dabei auf einen Satellitenbetreiber im australischen Melbourne. Der hatte mehrere Blocks mit Hunderten von Zahlenkombinationen an Nutzer weltweit vermietet. Seiner Auskunft nach setzte das Wählen dieser Nummer lediglich eine Software in Betrieb, die über eine
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