Tricontium (German Edition)
geglaubt, dass es schwerer sein würde, ihr gegenüberzutreten, ohne etwas zu empfinden, und sei es auch nur einen Hauch von Bedauern darüber, dass sie nicht mehr seine Richenza war. »Es ist nur … Richenza, du hast niemals ein Kind von mir bekommen, nicht wahr?«
»Na, da fragst du früh.« Sie lachte, als er erschrak, und er erinnerte sich an ihre Scherze und ihre Begabung, ihn mit ernstem Gesicht in die Falle tappen zu lassen. Ohne die alte Verbundenheit und das heimliche Wissen, dass sie ihn nur neckte, war aber nichts Lustiges mehr daran. »Nein.«
»Nein?«
»Nein.« Sie wurde ernst und schüttelte zur Bekräftigung den Kopf. »Ich habe kein Kind. Nicht von dir und auch von keinem anderen. Wie kommst du nur darauf?«
Zum ersten Mal, seit sie hinter ihrem Vorhang hervorgetreten war, klang sie aufrichtig so, als wolle sie eine Antwort hören.
Ardeija wich ihrem neugierigen Blick aus. Wenn sie noch seine Richenza gewesen wäre, hätte es gutgetan, ihr alles zu erzählen und ihren Rat zu hören, aber sein Kummer ging die vertraute Fremde, die nun vor ihm stand, nichts an.
»Ach, nur so eine seltsame Sache, die ich gehört habe«, sagte er und hoffte, dass sie sein Zögern auf allgemeines Unbehagen zurückführen würde. »Mir ist auf dem Weg nach Tricontium ein Mann begegnet, der mir erzählt hat, dass er über dreißig Jahre lang gar nicht wusste, dass er ein Kind hatte, und als er seinen Sohn dann endlich ausfindig gemacht hatte, war der noch nicht einmal sehr angetan davon. So weit darf man es doch nicht kommen lassen. Da wollte ich lieber fragen.«
Richenza ließ sich nicht anmerken, was sie davon hielt; vielleicht war das auch besser so. »Du erlebst schon einiges«, sagte sie nur.
Ardeija nickte und kam sich reichlich dumm vor. »Ja.«
Die Abschiedsworte, die sie austauschten, waren kühl und belanglos, und dann war alles so schnell vorüber, dass er sich, als er wieder auf der Straße stand, ernsthaft fragte, ob er wirklich mit Richenza gesprochen oder sich die Begegnung nur ausgemalt hatte.
Er hätte gern die Zeit gehabt, darüber in aller Ruhe nachzusinnen, doch es war wohl ein Gesetz der Welt, dass man immer dann, wenn man nachdenken wollte, daran gehindert wurde.
»Seid Ihr gut wieder angekommen?«, fragte ihn nämlich jemand, den er jetzt eigentlich weder sehen noch sprechen wollte.
Ardeija wusste nicht, ob es Theodulf wirklich kümmerte, wie es ihm ging, oder ob er nur höflichkeitshalber gefragt hatte, da sie nun einmal irgendetwas sagen mussten, wenn sie einander unversehens in der Stadt begegneten. »Nein … Ja. Tut mir einen Gefallen. Sagt niemandem, dass Ihr mich bei dem Haus hier gesehen habt, vor allem meiner Mutter nicht.«
Wenn Theodulf gern die Gründe für diese Bitte gekannt hätte, war er klug genug, zu erkennen, dass es ihm nicht zustand, danach zu fragen. »Gut«, sagte er nur und schickte sich mit einem Nicken, das Bekräftigung oder Abschiedsgruß sein mochte, an, seinen Weg fortzusetzen.
Ardeija erwog erst, ihn gehen zu lassen, doch die Gedanken, mit denen er sich hatte befassen wollen, waren ohnehin verscheucht. »Herr Theodulf, wartet! Haltet Ihr es für klug, allein und hilflos hier herumzulaufen, solange Asgrim und seine Leute in der Stadt sind?«
In diesem friedlichen Viertel wohlhabender Händler und Handwerker zwischen gepflegten Häusern, stillen Gärten und einem kleinen Tempel, der in jüngeren Tagen zu einer Marienkirche umgewidmet worden war, wirkte die Befürchtung, die in der Frage mitschwang, fast lächerlich. Dies war kein Ort, an den grimmige Krieger und hinterhältige Überfälle gehörten.
Theodulf blieb dennoch stehen. »Für klug? Nein«, bekannte er, ohne sehr schuldbewusst zu klingen. »Doch für richtig und notwendig. Wenn ich noch einen Tag länger untätig in Asris Haus sitze und ihre kleinen Dämonen betrachte, verliere ich den Verstand oder das, was davon noch übrig ist.« Sein Lächeln war vielleicht eine Einladung, mitzulachen und die Bitterkeit seiner Worte zu vergessen, doch Ardeija konnte ihn nicht so reden hören, ohne Mitgefühl zu empfinden. Es half auch nicht, dass die Falten, in die Theodulfs Umhang gerafft war, überdeutlich verrieten, dass Asri die Spange mit den zwei Schwänen festgesteckt haben musste, eine letzte, wenn auch wohlmeinende Demütigung beim Aufbruch in die kurze Freiheit dieses Spaziergangs. Einen Sohn, der einem Vorhaltungen machte, konnte man in einer solchen Lage wahrscheinlich weder gebrauchen noch
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