Trojanische Pferde
winkte einem Diener, noch mehr Tee zu bringen. Seine anderen Kinder waren auch da, saßen – alle elf – gesittet in formeller Trauer und bereiteten ihm so wenigstens ein klein wenig Trost, vor allem der kleine Assan, inzwischen drei Jahre alt, der jüngste Spross von seiner vierten Frau Liva.
Es klopfte heftig an der Tür, er wandte sich müde um und sagte: »Herein.« Es war erneut Assad, und Jassar ging ihm entgegen. Assad sagte nur ein Wort: »Sasha.«
Nibmars Aufschrei, als sie den Namen hörte, ließ ihn erschauern. Das Geheul, die beinahe unmenschlichen Töne, in die sie sich alsbald hineinsteigerte, gingen ihm durch Mark und Bein. Nibmar war aufgesprungen, die Fäuste geballt, das Gesicht zu einer Maske des Hasses verzerrt, einer Regung, die er nicht von sich weisen konnte. Sein ganzes Wesen schien in den Grundfesten zu erzittern, es war, als hätte er erst jetzt den künftigen Sinn seines Lebens begriffen.
Sasha saß auf einem harten Metallstuhl am Tisch eines heißen Verhörraums irgendwo in den Tiefen des Palasts. Die Betonwände hatten seit Jahrzehnten keine Farbe mehr gesehen. Keine Fenster. Nur eine schwere Holztür, die den Eindruck vermittelte, sie halte hier schon einige Jahrhunderte lang die Stellung. Ein Raum aus einem anderen Zeitalter, einem weniger aufgeklärten als dem des gegenwärtigen Saudi-Arabiens. Oder vielleicht doch nicht? Sie würde es bald herausfinden. Sie fragte sich, ob Jassar persönlich erscheinen würde. Sie saß hier seit fünfzehn Minuten. Man hatte sie einer Leibesvisitation unterzogen, ihr das Shirt und die Hose abgenommen, die sie unter der Abaya getragen hatte, und sie anschließend hier allein gelassen. Keine Befragung.
Sri Ganesha
, betete sie zu ihrem Beseitiger aller Hindernisse. Als sie Geräusche im Flur hörte, beendete sie ihr Gebet und versuchte die Haltung kühler Entschlossenheit wiederzufinden, mit der sie zum Palast gekommen war, doch es gelang ihr nicht. Ihre Beine zitterten vor Anspannung und sie hatte Knoten im Hals. Würde sie Jassar überhaupt ins Gesicht blicken können vor lauter Schuldgefühlen?
Doch dann klarten ihre Gedanken wieder auf, ein Anflug von Zuversicht machte sich bemerkbar. Sie wusste, dass ihr Vorhabennicht aussichtslos war. Man hatte ihr, wie erwartet, das Tonband und das Abspielgerät weggenommen, aber zweifellos würde man es abhören, und so hätte sie den Beweis geliefert. Dann ein jäher Schreck. Was, wenn die Gardisten das Band abspielten und dann beschlossen, es zu vernichten? Immerhin hatte sie einige ihrer Kollegen ermordet. Sie würden sich an ihr rächen wollen. Und was, wenn es in ihren Reihen jemanden gab, der sich eingeschlichen hatte, um die Pläne der al-Mujari zu unterstützen? Tom stand ihr jetzt nicht zur Verfügung; sie hatte keine Unterstützung.
Die Geräusche im Flur erwiesen sich als Schritte, die sich näherten, und dann erklang das Scharren von Metall auf Holz, als der Türriegel zurückglitt. Jassar und zwei Gardisten traten ein. Wutentbrannt sah er Sasha an, die den Kopf hob, um seinem Blick zu begegnen, und dabei fühlte, wie ihr alles Blut aus dem Gesicht wich. »Lasst uns allein«, sagte Jassar zu den Männern. Sie schlossen die Tür hinter sich.
Von einer mächtigen Gefühlsaufwallung bedrängt, kämpfte Sasha um klare Gedanken. Unter der Fratze des Hasses sah sie den Schmerz in Jassars Gesicht. Es musste ihr gelingen, zu seinem Herzen vorzudringen, seinen Verstand anzusprechen. »Jassar, ich bin freiwillig gekommen. Ich musste Sie sprechen.«
»Die Tatsache, dass du geflohen bist, belegt deine Schuld. Zweifellos werden wir deine Fingerabdrücke auf der Waffe finden. Wir haben eine weitere Waffe in deinem Schreibtisch gefunden.« Er war, in steifer Haltung, neben der Tür stehen geblieben.
Ihr Herz jammerte und klagte.
Vergib mir!
»Zweifellos«, sagte sie.
»Ist das ein Geständnis?«
»Ich gestehe, dass ich Sie retten wollte.«
»Unsinn. Was soll das heißen?«
»Es gab eine Verschwörung, Sie zu ermorden.«
»Das ist lächerlich. Unsere Geheimpolizei weiß über alles Bescheid.«
»Ich kann es beweisen.«
»Und wie?«
»Hören Sie mir zu.«
»Das Einzige, was mich interessiert zu hören, ist die Antwort auf die eine Frage: Warum?«
Sie hatte das Gefühl, sie würde rapide schrumpfen und er sich wie ein Riese drohend vor ihr erheben. Wie sollte sie es ihm jetzt sagen? Dass sie ihn liebte, dass sie alles nur für ihn getan hatte! Es lief nicht so, wie es sollte, aber hatte sie
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