Trolljagd
die Tests persönlich durchzuführen.
In all den Jahren, die sie damit verbracht hatte, die Verbindung zwischen Hexen und ihren Schutzgeistern zu erforschen, war ihr so etwas wie Tiki noch nie untergekommen. Er war in eine Art Koma gefallen, und keiner der Zaubersprüche, die sie anwandte, konnte ihn daraus erwecken. Marsha mutmaßte, dass das Koma auf ein traumatisches Erlebnis seiner Herrin zurückzuführen war, aber was genau es war, blieb ein ungelöstes Rätsel. Es war nicht auszuschließen, dass Lucy längst tot war, aber wenn dem so war, wieso war ihr Schutzgeist dann noch am Leben? Man hatte zwar schon von Fällen gehört, in denen eine Hexe oder ihr Schutzgeist nach dem Tod des Partners weiterlebte, aber das passierte vielleicht in einem von zehntausend Fällen. Es musste eine andere Erklärung dafür geben.
Ein Schrei riss Marsha aus ihren Gedanken. Sie eilte zu dem Glaskasten, in dem Tiki schlief, und stellte fest, dass das Frettchen wohl eine Art Krampfanfall erlitten hatte. Schwarzes Blut lief dem Tier aus Mund und After. Martha gelang es, seinen Zustand wieder zu stabilisieren, und sie entnahm ihm eine Blutprobe, die sie unter dem Mikroskop untersuchte. Was sie dort sah, verwirrte sie.
»Was ist los?«, fragte der Labortechniker, der Marsha als Assistent zugeteilt worden war.
»Wer außer uns beiden hatte Zugang zu dem Schutzgeist?«, fragte sie scharf.
»Niemand, Ma’am. Warum?«
Marsha sah den Techniker ernst an. »Weil er vergiftet wurde.«
Als Lucy endlich wieder zu sich kam, fühlte sie sich, als hätte ihr jemand mit einem Hammer einen Schlag auf den Hinterkopf versetzt. Sie versuchte die Augen zu öffnen, aber das Licht schmerzte so sehr, als stäche man ihr Nadeln in die Augen. Sie wartete einen Moment und versuchte es dann erneut. Zuerst war alles um sie herum verschwommen, aber nach und nach wurde das, was sie zuerst für Schatten um sich herum gehalten hatte, klarer. Sie war … von sechs Paar großen, blauen Augen umgeben. Erschrocken versuchte sie, sich aufzurichten, aber augenblicklich drehte sich der Raum um sie.
»Ihr dürft Euch nicht so hastig bewegen, Kind.« Die Zwergin drückte sie vorsichtig wieder in den Strohhaufen zurück, in dem sie geschlafen hatte. Die Zwergenfrau hatte ein freundliches Gesicht mit feinen Sorgenfalten in den Augenwinkeln. Ihr mausgraues Haar war zu zwei Zöpfen geflochten, die um ihr Gesicht schwangen.
»Wer …?«, krächzte Lucy. Ihr Mund war so trocken wie die Wüste selbst, und sie fühlte, wie ihre Lippen rissen, als sie sie bewegte.
»Wasser, gebt ihr Wasser!«, befahl die Zwergin. Kurz darauf kam ein kleiner Junge durch die Menge der Schaulustigen und trug eine Schüssel mit Wasser, die er der Zwergenfrau reichte. Vorsichtig hob sie Lucys Kopf und flößte ihr ein wenig davon ein. Das kalte Wasser tat ihrer trockenen Kehle so gut, dass sie versuchte, alles auf einmal zu trinken. Im nächsten Moment musste sie würgen. »Lasst Euch Zeit, Kind, wir haben jede Menge davon.«
»Ja, jedenfalls so lange, bis die Trolle beschließen, unsere Vorräte zu vergiften«, warf ein junger Mann ein, der am Türrahmen lehnte. Er hatte kurzes rotes Haar und die ersten Anzeichen eines Bartes an seinem Kinn. Die Art, wie er Lucy ansah, machte deutlich, dass er nicht gerade glücklich darüber war, die Hexe als Gast zu beherbergen.
»Benimm dich, Alec«, warnte ihn die Zwergin.
»Wirklich, Mavis, es ist doch wahr! Cristobel und seine Freunde sind der Grund dafür, dass wir hier wie die Erdhörnchen im Untergrund leben müssen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Trolle uns hier ausgraben und zu Ende bringen, was sie angefangen haben. Wenn es nach mir ginge, würde ich die Mörder den Trollen ausliefern, damit wir alle wieder in Frieden leben können.«
»Frieden?« Cristobel betrat den Raum. Er trug immer noch die blutverschmierte Axt bei sich. »Wie Sklaven zu leben, während die Trolle mit unseren Frauen und Kindern Gott spielen, ist es das, was du Frieden nennst, Alec?«
Alec sah beschämt zu Boden. »Ich habe ja nur gemeint, dass wir uns noch mehr Ärger einhandeln, wenn wir den Fremden helfen.«
Mavis verzog ihre schmalen Lippen. »Solange die Trolle diese Berge bevölkern, wird es sowieso immer Ärger geben. Dass wir diesem Mädchen helfen, wird unsere Lage weder verbessern noch verschlimmern.«
»Hört mal, ich will euch nicht zur Last fallen, also mach ich mich jetzt lieber auf den Weg.« Lucy gelang es zwar, sich aufzusetzen, aber kaum hatte
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