Troposphere
sind. Ich klappe das Buch zu und greife zu den »Literary Portraits of the Polychrests«. Der Klappentext behauptet, dass es möglich sein sollte, literarische Figuren genauso zu »lesen« oder zu entschlüsseln, wie man einen Menschen mit einer Krankheit liest. Ich ahne, wie das funktionieren könnte: all die kleinen Symptome, von denen ich vorher gelesen habe, all der Nachdruck darauf, dass man weiß, ob jemand sich um elf Uhr (Schwefel) oder um sechzehn Uhr (Bärlapp) schlechter fühlt. Ich schlage das »Portraits«-Buch auf und lese Folgendes:
Carbo veg ist als der Leichen-Wiederbeleber bekannt – und jeder praktizierende Homöopath wird sagen können, warum. Wenn ein Patient seinen letzten Atemzug zu tun scheint, ist dies das Heilmittel, das ihm in der höchstmöglichen Potenz gegeben werden muss. 1M oder 10M ist üblicherweise hinreichend, um eine Wiederbelebung herbeizuführen oder, in der Tat, dem Patienten bei seinem Hingang beizustehen.
Nach einer Einleitung listet das Kapitel verschiedene berühmte literarische Figuren auf, die nach Meinung des Autors dieses Heilmittel benötigen würden. Mina Murrey und Jonathan Harker bekommen ein paar Seiten ganz für sich, und der Autor verbringt lange Zeit mit der Betrachtung des Sterbenden in Edgar Allan Poes Kurzgeschichte »Die Mesmerische Offenbarung«. Dann gibt es natürlich einen Abschnitt über Elizabeth Lavenza aus »Frankenstein«. Der Abschnitt endet mit den Sätzen:
Ist es ein Wunder, dass es Kohlenstoff ist, der diesen geheimnisvollen Nimbus bewahrt? Kohlenstoff ist nichts weniger als die Kompression des Lebens selbst, und er wird zur Nahrung für unsere Öfen und Maschinen, die ihrerseits die Nahrung für das Leben bereitstellen. Kohlenstoff, zu dem alle lebendigen Dinge irgendwann zurückkehren (Asche zu Asche, Staub zu Staub), muss die geheimnisvollste aller Substanzen sein, und in dieser Hinsicht ist die Ausrichtung auf den Tod unvermeidlich. Aber Kohlenstoff ist auch Leben. Er ist der Beginn des Lebens und sein Ende. In der Potenzierung behält es keine physische Substanz, sondern Energie, also Bedeutung. Und die Bedeutung des Kohlenstoffs ist sowohl einfach als auch komplex. Leben. Tod. Die Grenze aller Dinge.
Als ich feucht und sauber, aber nicht spürbar wärmer aus dem Bad komme, merke ich, wie mein Verstand tick-tick macht wie der Bildschirm von Heathers Rechner. Der Leichen-Wiederbeleber. Zumindest das klingt interessant. Und das ganze Zeug darüber, dass Kohlenstoff die Essenz sowohl des Lebens als auch des Todes ist. Ich erinnere mich, dass etwas Interessantes über Kohlenstoff in Jim Lahiris populärwissenschaftlichem Buch gestanden hat. Ich gehe im Bademantel in die Küche und setze Kaffee auf, dann suche ich nach dem Buch. Schließlich finde ich es, und es bestätigt mir meine Erinnerung. Im Hochofen des Urknalls war Wasserstoff das erste Element, das sich in der heißen Plasmasuppe von Elektronen und Protonen bildete. Es ist gewissermaßen die leichteste Übung: Alles, was man für Wasserstoff braucht, ist ein Elektron und ein Proton. Die Masse dieses Wasserstoff-Isotops ist eins – weil es ein Proton hat (Elektronen haben so gut wie keine Masse). In der unvorstellbaren Hitze werden auch Wasserstoffisotope mit den Massenzahlen zwei (Deuterium – ein Proton und ein Neutron) und drei (Tritium und Trialphium) gebildet. Dann Helium mit der Massenzahl vier. Aber es gibt kein stabiles Atom mit der Masse fünf. Weil es kein Atom mit der Massenzahl fünf gibt, begriff niemand, wie Kohlenstoff überhaupt entstehen konnte. Jedes neue Element wird durch Verschmelzung der Elemente hergestellt, die vor ihm da waren, aber man kann Wasserstoff und Helium in einem kosmischen Mixer so lange herumschwirren lassen wie man will, es kommt kein Kohlenstoff dabei heraus.
Das ist ein Problem, denn wenn man auf diese Weise keinen Kohlenstoff herstellen kann, scheint auch der Rest des periodischen Systems unmöglich zu sein. Aber weil die gängigste Massenzahl für Kohlenstoff zwölf ist, müsste man drei Heliumatome exakt zur selben Zeit bei einer sehr hohen Temperatur zusammenstoßen lassen, um ihn zu erzeugen. Es sah so aus, als wäre es unmöglich, dass dies je geschah. Dann argumentierte der Kosmologe Fred Hoyle, dass Kohlenstoff existieren müsse, da er aus ihm gemacht sei, und rechnete genau aus, wie die »Masse-fünf-Spalte« übersprungen werden könnte. Als Antwort auf all das schrieb George Gamow eine Parodie auf die
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