Troubles (German Edition)
der Major fand sich damit ab, dass er in einem Haus lebte, dessen obere Stockwerke, ob nun trocken oder nass, allmählich verrotteten.
Ein andermal, als er mit den Händen auf ein Waschbecken gestützt seine frischrasierten Wangen inspizierte, spürte er, wie das Becken unter seinem Gewicht langsam nachgab. Es löste sich von der Wand, verbog die Bleirohre, bis es daran kopfüber hing und sich ein Wasserschwall über seine Füße in den Pantoffeln ergoss. Ein paar Augenblicke schwang der Stöpsel an seiner Kette noch leise hin und her wie ein Uhrpendel. Der Major trocknete sich bedachtsam die Füße und schaffte seine Habseligkeiten ins Nebenzimmer. Es war beileibe nicht sein erster Umzug. Seit dem Zwischenfall mit dem verwesenden Schafskopf bei seinem ersten Aufenthalt hatte er aus diesem oder jenem Grund schon mehrmals das Zimmer gewechselt.
Natürlich kam dem Major zugute, dass er im Krieg schon ausgiebig Bekanntschaft mit einer von Veränderung, Verunsicherung und Verfall geprägten Welt gemacht hatte. Den alten Damen hingegen, die ihr Leben lang festen Boden unter den Füßen und ein sicheres Dach über dem Kopf gehabt hatten, musste es ganz anders vorkommen. Manchmal saß der Major im großen Salon und beobachtete sie, wenn sie in der Zeitung die Katastrophen des Tages studierten. Was ihnen wohl durch den Kopf ging, wenn sie lasen, dass eine Patrouille, ein Dutzend Soldaten stark, am helllichten Tag zwischen College Green und Westmoreland Street angegriffen worden war? Mitten in Dublin, einer Stadt im britischen Empire! Allein im Juli hatte es zweiundzwanzig Tote und siebenundfünfzig Verwundete gegeben, die meisten davon Polizisten. Waren sie in jenem August, während das Manchester-Regiment in Mesopotamien schwere Verluste erlitt (aber irgendwo im Empire hatte es immer einen Winkel gegeben, wo die Untergebenen Seiner Majestät für Unruhe sorgten), erleichtert und zufrieden, als sie vom Gesetz zur Wiederherstellung der Ordnung in Irland lasen? Militärgerichte (denn vor Ort requirierte Geschworene waren längst nicht mehr verlässlich) und Einbehalt der Finanzmittel für örtliche Behörden, die ihren Pflichten nicht nachkamen – nicht einen Moment lang glaubte der Major daran, dass sich mit solchen Mitteln die Ordnung in Irland wiederherstellen ließ. Und vielleicht glaubten die alten Damen es genauso wenig, denn keine von ihnen sah im Mindesten erleichtert aus, als sie mit bebenden Wangen davon lasen. Am i. September begann die Rebhuhnsaison. Vögel, hieß es, seien reichlich vorhanden.
Eines Morgens fanden der Major und Edward sich mitten auf dem Kartoffelacker, der innerhalb der Umfassungsmauer des Majestic jenseits des Obstgartens lag. Schweigend besahen sie sich die Reihen grüner Pflanzen, in denen über Nacht geheimnisvoll gähnende Krater entstanden waren, wie die leeren Höhlen ausgerupfter Zähne.
»Jetzt klettern sie sogar schon über die Mauer. Nicht mehr lange, und sie sitzen bei uns am Tisch.«
»Sie haben nichts zu essen. Was erwarten Sie da?«
»Es ist nicht meine Schuld, dass sie nichts zu essen haben.«
»Das weiß ich. Ich will nur sagen, Sie können nicht erwarten, dass jemand freiwillig verhungert. Was würden Sie an ihrer Stelle tun?«
»Seien Sie nicht albern, Brendan. Ich würde nie zulassen, dass ich in so eine Bredouille komme.«
Der Major wandte sich ab und sah den Krähen zu, die in trägen Zirkeln über ihnen kreisten und Ausschau nach Nahrung in dem frisch aufgewühlten Boden hielten. Zwischen ihm und Edward blieb es bei einem langen, unzufriedenen Schweigen.
Am frühen Nachmittag verdeckte ein Wolkenschleier das schwache Licht der Sonne, der Himmel kroch näher an die Baumkronen, und ein leichter Nieselregen setzte ein. Der warme, feuchte Hauch des Herbstes drang durch die noch geöffneten Fenster, doch Edward, großzügig in seiner Zerstreutheit, ordnete an, dass Torf- und Holzfeuer entzündet wurden, wohl weniger der ersten Kühle als der Melancholie wegen, die ihnen allen zu schaffen machte. Schon um halb fünf war es recht dunkel draußen; der Regen sorgte dafür. Der Major saß, vor Bedrücktheit wie gelähmt, in einem Sessel im Jagdzimmer, die Ellbogen auf Ohrhöhe aufgestützt, starrte in das Feuer oder betrachtete dessen Widerschein, wie er flackernd in den lackierten Schuppen eines mächtigen ausgestopften Hechts schimmerte. In den großen Tagen des Hotels hatte dieser Hecht sich einem Herrn ergeben müssen, Titel, Name und Ort waren in unleserlichen
Weitere Kostenlose Bücher