Troubles (German Edition)
noch an dem Mauerwerk festhalten und sich wieder aufrichten. Auf der anderen Kanalseite liefen zwei Männer in Trenchcoats in Richtung der Kais davon. Ein großer, kräftig gebauter Mann stolperte hinter ihnen her, behindert von einer Reklametafel, die er umhängen hatte und die ihm bis an die Knie reichte; in der rechten Hand hielt er einen Revolver. An der Südwand des Kanals sah der Major die Khakiuniformen britischer Soldaten. Flintenschüsse hallten, und der Mann mit der Reklametafel wurde geschüttelt wie von einem unspürbaren Wind. Ein paar Schritte weiter blieb er stehen, hob den Revolver und feuerte über den Kanal zurück auf die Soldaten; dann hastete er wieder voran. Weitere Flintenschüsse. Wieder wurde der schwere Mann geschüttelt, dann stolperte er ein Stück weiter. Er brüllte etwas. Seine Kumpane waren inzwischen verschwunden. Plötzlich brach er im Inneren seiner Tafeln zusammen, ging in die Knie und hing dort, mit dem Kopf zur Seite, die Arme schlaff, noch immer gehalten von seinem Brett wie eine weggeworfene Puppe.
Ganz allmählich setzte sich die Menge wieder in Bewegung, erschrocken, vorsichtig, und gab den Major frei. Er ging ein paar Schritte vor, bis er sehen konnte, was den Verkehr auf der Brücke aufhielt. Ein alter Mann – weißer Schnurrbart, das graue Gesicht mit scharlachroten Flecken besprenkelt – lag auf dem Rücken, die Augen so verdreht, dass nur das Weiße noch sichtbar war. Eine goldene Uhr, mit einer Kette im obersten Knopfloch seiner Weste befestigt, lag noch in seiner rechten Hand, umgeben von langen, elfenbeingelben Fingernägeln.
Erschüttert bahnte der Major sich einen Weg in Richtung Mount Street. Der kräftige Mann hing noch immer wie eine Stoffpuppe zwischen den zwei Reklametafeln. Der Major war nun nahe genug herangekommen, dass er die schwarzen Lettern lesen konnte: HEILIGE MARIA MUTTER GOTTES BETE FÜR UNS SÜNDER! Die Tafel war nicht aus Holz, sondern aus Eisen gefertigt; er sah das Metall schimmern, wo die Kugeln das Papier aufgerissen hatten und tief eingedrungen waren. Der kräftige Mann hatte sie wie eine Rüstung getragen.
Der Major ging mit eiligen Schritten die Mount Street hinunter. Von beiden Seiten starrten die Fenster grauer, schäbiger Häuser auf ihn herab. Das Pflaster vor seinen Augen war übersät mit leuchtend roten Spritzern. So ein leuchtendes Rot! Wie frisch das Blut eines alten Mannes aussah! Kein bisschen blass, müde und vertrocknet wie der Mann selbst. Rasch erreichte er die Leinster Street und betrat den College Park. Hier war mit einem Mal alles friedlich; die Automobile und Pferdewagen auf der anderen Seite der hohen Mauer waren kaum zu hören. Hier gab es keinen Mann mit Stoffkappe, der sich aus der Masse der Passanten löste und nach der Uhrzeit fragte. Aber woran erkennt man sie?, überlegte er. Sie tragen keine Uniform. Sie sind wie Spione. Man sollte sie erschießen wie Spione. Sie sehen aus wie jeder andere. Es war absurd, dachte er, als er an der ebenmäßigen grünen Rasenfläche entlangging, wo von vergangenen Kricketspielen noch die eine oder andere braune Narbe geblieben war … es war absurd, dass in Irland ein alter Mann getötet wurde, der auf seine Uhr schaute. Im Krieg wurden unschuldige alte Menschen getötet – aber Irland war ein friedliches Land.
Am nächsten Tag las er einen Bericht über den Zwischenfall. Der alte Mann war Engländer gewesen, natürlich, ein pensionierter Armeeoffizier, der in Dublin Castle für den Nachrichtendienst arbeitete. Er war verwitwet und hatte ganz in der Nähe gewohnt, in der Northumberland Road. Er war auf dem Heimweg von der Arbeit gewesen, als ein Mann mit einer Reklametafel vor der Brust aus der Menge trat und ihn nach der Uhrzeit fragte. Jemand hatte gehört, wie er: »Ah, dann hat Ihre Stunde geschlagen!« sagte, und dabei hatte er mit einem Revolver auf den Kopf des alten Mannes gezielt und abgedrückt. Doch der Attentäter hatte Pech gehabt. Ein Trupp britischer Soldaten war eben von der Durchsuchung eines Hauses neben der Kirche an der Ecke gekommen, und die hatten nicht lange gefackelt. Der Mann mit der Reklametafel hatte sein Leben ausgehaucht, ohne seinen Namen zu nennen. Wer war er? Niemand wusste es. Der unbekannte Mörder hatte ein Schild mit einer frommen Botschaft getragen (hörte der Major jemanden bei Jury lachend erzählen), weil es hieß, Engländer, allesamt Protestanten, würden den Blick abwenden, wenn sie den Namen der Jungfrau Maria sähen, und da dieser
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