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Troubles (German Edition)

Troubles (German Edition)

Titel: Troubles (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Gordon Farrell
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Tage so viele Leute angehalten und nach Waffen durchsucht würden …
    Der Major las diesen Zeitungsbericht und fand tags darauf noch ein oder zwei weitere. Aber auch wenn sie hie und da beiläufig erwähnt wurde, hatte man die Ermordung des alten Mannes zur Kenntnis genommen und zu den Akten gelegt. Merkwürdig, dachte er. Ein alter Mann wird auf offener Straße erschossen, und schon zwei Tage später ist diese sinnlose Tat zum Teil des Alltags geworden. Die Zeitungsartikel waren wie Kompressen, die man auf jäh aufflammende Entzündungen legte. Nach ein oder zwei Tagen hatten sie das Gift der Gewalt restlos absorbiert. Was blieb, waren zufällige Begebenheiten des Jahres 1919, unvermeidlich, ohne böse Absicht, Teil der Geschichte. Der alte Mann, der mit der Uhr in der Hand auf der Brücke am Boden lag, war Teil der Geschichte. Und so, überlegte der Major – und blickte dabei aus dem Fenster auf das Verkehrsgewühl in der Dame Street, auf die Herren in Bowlerhüten, die feinen Damen in ihren gebauschten Gewändern, die Blumen- und Obstverkäufer, auf die zerlumpten Frauen mit Säuglingen und barfüßigen Kindern an ihren Rockschößen, die unten auf der Straße bettelten »Um des lieben Herrgotts willen« … »Für die Jungfrau Maria!« …, auf die blitzenden Automobile, die freundlichen Gesichter, die Ausflugskutschen mit ihren nickenden Pferden und all die anderen Dinge, über die nie jemand berichten würde –, so entsteht ein Baustein der Geschichte dieses Jahres. Ein Überfall auf eine Kaserne, der Mord an einem Polizisten auf einer einsamen Landstraße, ein Luftschiff, das den Atlantik überquert, ein Redner auf einem Podium oder irgend eine andere zufällige Begebenheit, meist gewaltsam, von der man Tag für Tag liest: das war Zeitgeschichte. Der Rest war nur das ewiggleiche Leben selbst.
    Dieser Gedanke legte sich ihm wohl aufs Gemüt, denn gleich darauf sagte er sich: »Heute Abend fahre ich zurück nach London. Und danach reise ich vielleicht ins Ausland und verbringe den Winter in Italien.« Der Zug zur Fähre fuhr um zehn nach sieben vom Bahnhof Westland Row. Um halb sechs am nächsten Morgen würde er in Euston eintreffen. »Ich habe noch viel Zeit. Ich klingle nach jemandem, der meine Koffer packt.«
    Doch in dem Moment klopfte es an der Tür. Es war das Zimmermädchen in seiner schwarzen Uniform mit weißer Schürze und Häubchen. Sie hatte ein Telegramm für ihn. Es war von Edward; er schrieb, dass Angela in der vergangenen Nacht gestorben sei, und bat ihn, so rasch wie möglich nach Kilnalough zurückzukehren.
    Zu den Engeln gegangen. Der Major dachte an sie während der Rückfahrt nach Kilnalough. Er dachte an die Teegesellschaft an dem Tag, an dem er einige Wochen zuvor in Kilnalough eingetroffen war; tatsächlich war es sein einziges Bild von ihr. Sonst hatte er keine. Und irgendwie musste er bei dem Gedanken an den Überschwang ihrer Erinnerungen im tropischen Dämmerlicht des Palmenhauses lächeln, ein trauriges Lächeln, aber er konnte es nicht unterdrücken.
    Und jetzt war Angela zu den alten präraffaelitischen Dichtern und den entschlossen dreinblickenden Forschungsreisenden gegangen, die (wie man so sagt) ihre irdische Hülle abgestreift hatten. Sie weilte bei den toten Rudermannschaften (höchstwahrscheinlich fand man sie unter den schemenhaften Gestalten auf Edwards Kriegerdenkmal), die Vorkriegschampagner aus ihren Schuhen geschlürft hatten. Sie weilte dort, wo all die bedeutenden Menschen hingehen, und die unbedeutenden übrigens auch.
    »Ich sterbe«, hatte sie zu ihm gesagt, »vor Langeweile«, und selbst diese Bemerkung schien ihm im Nachhinein unpathetisch und ohne Tragik. Beinahe konnte man sich ausmalen, dass auf dem Totenschein »Langeweile« als Ursache geschrieben stand. »Aber ich will mich nicht lustig machen über das arme Mädchen«, dachte er. »Sie muss damals schon krank gewesen sein.« Tatsächlich stimmte es ihn traurig, wenn er jetzt an sie dachte, wie sie in ihrer pseudotropischen Lichtung in Kilnalough saß und »vor Langeweile« starb, wenn nicht an etwas, das sie schmerzhafter an die harte Wirklichkeit erinnerte, an die Vergänglichkeit der Jugend und an ihre eigene Sterblichkeit.
    Der Major traf erst nach Einbruch der Dunkelheit im Majestic ein, und es hätte ihn nicht überrascht, wenn ihn dort keiner in Empfang genommen hätte. Doch als er die Steintreppe hinaufging und die schwere Eingangstür aufzog, sah er einen schwachen Lichtschein im Foyer. Das

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