Troubles (German Edition)
sich, die Schultern zu straffen.
»Angela hat mir das hier für Sie gegeben. Ein paar Tage bevor sie … na, Sie wissen …«
Der Major blickte auf den Briefumschlag, und obwohl er an diesem Tag der schwarzen Krawatten, der bleichen Gesichter und gedämpften Stimmen nur sehr wenig empfunden hatte (allenfalls eine vage Beklemmung, eine dumpfe Traurigkeit), versetzte ihm der Anblick seines Namens in der vertrauten, akkuraten Handschrift einen jähen Stich. Jetzt erst war Angela wirklich tot.
»Ich sollte sehen, dass ich loskomme. Ich muss mich noch von Ripon und den Zwillingen verabschieden.«
Die Zwillinge waren im Schreibzimmer, wo ihnen zwei wohlbeleibte Herren in Tweedanzügen Trost zusprachen; offenbar hatten sie beschlossen, die hauchdünnen schwarzen Schleier, die sie so perfekt kleideten, nicht abzulegen, und saßen jetzt bleich und tapfer mit glänzenden Augen auf ihren Sofas und ließen sich von den rauen, haarigen Pranken ihrer Beschützer die zarten Hände tätscheln. Der Major beschloss, sie nicht zu stören (schließlich hatte er sie vor diesem Tag nie zu Gesicht bekommen), und während Murphy schon vor dem Eingang in der Pferdekutsche wartete, durchkämmte er das Haus auf der Suche nach Ripon.
Er war nicht im Palmenhaus, nicht im Speisesaal (wo ein oder zwei ausgehungert aussehende Trauergäste mit ernsten Mienen einen kalten Imbiss zu sich nahmen), weder im Salon noch im Damenzimmer noch im Ballsaal, nicht im Frühstücksraum, der Kaffeestube oder im Jagdzimmer. Verwirrt stand der Major auf dem Flur und überlegte, wo Ripon wohl steckte. Er stieg hinauf in die Empire-Bar, doch auch dort keine Spur von ihm. Es war einige Zeit her, seit der Major zuletzt hier gewesen war; ein neuer Wurf Katzenbabys tollte auf dem Boden umher: liebenswerte kleine Geschöpfe mit rotgoldenem Fell. Der vorherige Wurf war in der Zeit seiner Abwesenheit um einiges größer geworden und hatte den Teppich an die Neuankömmlinge abgetreten. Stattdessen dösten sie nun auf verstaubten Stühlen oder schlängelten sich mit feurigen Augen zwischen den Flaschen an der Bar hindurch. Der Major hielt noch immer Angelas Brief in der Hand. Er legte ihn auf die Theke und bückte sich, um eins der rothaarigen Kätzchen aufzuheben. Es wand sich leise maunzend in seiner Hand und bohrte die winzigen Krallen in seine Finger. Mit einem Seufzer ließ er es wieder los und schaute auf die Uhr. Er musste sich beeilen. Wo um alles in der Welt war Ripon? Er beschloss, einen allerletzten Versuch im Billardzimmer zu machen.
Dort fand er ihn, damit beschäftigt, ein Klappmesser so vom einen Ende des Zimmers zum anderen zu schleudern, dass es in der Eichentäfelung steckenblieb. Er hatte die Hand gerade zum Wurf erhoben, als der Major über die Schwelle trat.
»Aufgepasst!«
»Ach, Sie sind es. Ich dachte, ich verziehe mich mal eine Weile nach hier unten. All diese morbiden alten Damen, wissen Sie.«
»Ich wollte mich nur verabschieden. Ich muss zurück nach England, zu einer Angehörigen, die krank geworden ist.«
»Oh, verstehe«, nickte Ripon, wobei er seine Jacke überzog und sich, anscheinend besorgt, auf die Taschen klopfte. »Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Es ist furchtbar hier, nicht wahr? Ich überlege, ob ich mich nicht auch aus dem Staub mache, bevor es zu spät ist; bevor das elende Schiff untergeht, sozusagen. Ehrlich gesagt bin ich froh, dass Sie hier sind; ich wollte nämlich noch etwas mit Ihnen besprechen.«
Zum zweiten Mal binnen nicht einmal zehn Minuten überlegte der Major, ob er die Lauterkeit seiner Abreisemotive beteuern sollte, entschied sich aber wiederum dagegen.
»Hören Sie, ich habe nicht viel Zeit. Genau genommen habe ich überhaupt keine Zeit. Ich habe den Zug von hier schon verpasst und muss jetzt sehen, dass ich rechtzeitig nach Valebridge komme, und zwar vor, wann war das … ?« Er warf einen Blick auf seine Uhr.
»Sie haben es natürlich gehört«, sagte Ripon, ohne auf die Einwände des Majors einzugehen. »Ich nehme an, die ganze Stadt weiß Bescheid.«
»Was gehört?«, fragte der Major ungeduldig.
»Das von mir und Máire Noonan. Ich bin sicher, die kleine Schlampe Sarah hat es Ihnen erzählt.«
»Ich habe tatsächlich davon vernommen. Aber hören Sie, Ripon … Sie können ein Mädchen nicht einfach so als Schlampe bezeichnen. Das geht nicht. Zumal sie mehr oder weniger ein Krüppel ist, und wenn
Sie
so ein Leiden hätten …«
»Ich vermute, Sie wissen, dass Máire Fischfresser ist …
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