Trügerischer Friede
einst eine Frau in Euren Mauern beherbergt, die sich Lakastre nannte. Ist das so?«, fragte Kovarem lauernd.
Damit hatte Pashtak nun gar nicht gerechnet, und die Mienen der Kensustrianer warnten ihn davor, zu viel preiszugeben und Estras Abstammung vollends offen zu legen. Da er direkt gefragt worden war, unterstellte er den Kensustrianern, dass sie genügend in Erfahrung gebracht hatten, sodass eine Lüge sinnlos war.
»Weshalb wollt Ihr das wissen?«, entschied er sich für eine Gegenfrage und witterte in ihre Richtung. Der Wind trug ihm unbekannte Ausdünstungen zu, die beiden Kensustrianer rochen nach Gewürzen, Honig und enormer Aufregung und Anspannung.
»Sie hieß in Wahrheit Belkala und war Schlimmeres als das, was Ihr eine Ketzerin nennen würdet«, erklärte Relio und bemühte sich, den schlechten Eindruck abzumildern, den der scharfe Zungenschlag Kovarems hinterlassen hatte.
»Wenn Ihr wegen ihr gekommen seid, kann ich Euch beruhigen. Sie ist tot. Sie starb vor etwa einem Jahr«, klärte Pashtak sie auf.
Relio und Kovarem absolvierten mehrere Gesten und murmelten Silben. »So ist ein Übel aus der Welt«, sagte Relio erleichtert. »Hatte sie Kinder?«
»Nein«, kam es sogleich aus Estras Mund. »Sie folgte ihrem Mann ohne Nachkommen ins Grab.«
»Wo ist dieses Grab?«, hakte Kovarem sofort nach. »Wir möchten es sehen.«
»Versteht unser Drängen richtig«, beschwichtigte Relio. »Wir suchen unter anderem ein Amulett, das sie trug. Sie hat es aus dem Tempel Lakastras gestohlen, und wir möchten es zurückbringen.«
Pashtak gefiel die Unterredung schon lange nicht mehr. Er wollte Klarheit, bevor er irgendetwas von Belkalas Leben offenbarte. »Deswegen habt Ihr den langen Weg unternommen? Ein Schreiben hätte ausgereicht, und wir hätten den Leichnam untersucht.«
»Es geht um mehr.« Relio ließ den Blick über die Stadt schweifen und nahm - das sah Estra ihm an - innerlich Anlauf. »Pashtak, wir müssen von Euch und den Bewohnern des Ortes etwas verlangen und bitten Euch inständig, unserem Anliegen Rechnung zu tragen.« Er richtete die Augen auf den Vorsitzenden und blickte ihm ohne Scheu ins Gesicht. »Benennt Eure Stadt um und entfernt alle Zeichen von den Wänden, die wir Euch zeigen. Außerdem haben mehrere Häuser abgetragen und an einer anderen Stelle errichtet zu werden.«
Pashtak grollte verwundert, was die kensustrianischen Krieger veranlasste, die Hände an die Griffe ihrer Schwerter zu legen. »Was ist der Grund?«
»Ich bin nicht befugt, Euch diese Frage zu beantworten, sondern soll Euch die Forderungen stellen«, bedauerte Relio. »Ich erwarte Eure Entscheidung innerhalb eines Tages.«
»Ein Tag?!« Der Vorsitzende stieß einen Laut zwischen
Fauchen und Pfeifen aus. »Die Versammlung hat darüber zu entscheiden, nicht ich. Und wie soll ich ihnen klar machen, dass wir diese Forderungen ohne jede Angabe von Gründen erfüllen sollen?«
Welches Geheimnis verbirgt die Stadt vor uns? Was hat meine Mutter hinterlassen?, dachte Estra erschrocken.
»Vorsitzender!«, rief einer der Brandwächter und zeigte nach Südwesten. Estra und Pashtak blickten in die angegebene Richtung, wo eine Streitmacht aufmarschierte, deren Rüstungen und Waffen im Schein der Sonnen aufleuchteten. Ein gewaltiger Tross aus großen und kleinen Karren folgte ihnen. Die Befehlshaber hatten sich anscheinend auf eine Belagerung vorbereitet. Relio und Kovarem wandten sich zum Gehen. »Reichen Euch diese fünftausend Gründe?«, fragte Kovarem, der bereits auf der ersten Stufe stand.
»Ich bedauere sehr, dass wir keine Zeit für lange Verhandlungen haben. Ihr werdet aber hoffentlich zum Wohl der Bewohner entscheiden. Entweder Ihr verändert die Stadt oder unsere Truppen tun das.«
Die Kensustrianer entfernten sich, stiegen die Treppe hinab. »Wir bleiben in der Stadt und markieren die Häuser, damit Ihr sie gleich findet«, kam es von Relio. »Seid so freundlich und gebt uns bis morgen Quartier.«
Estra riss sich mit Mühe von der Heerschar los, die sich in einigen Meilen Entfernung niederließ und ihre Zelte aufschlug. Innerhalb eines Lidschlags stand die Zukunft Ammtaras auf Messers Schneide. In der kurzen Zeit war es unmöglich, Perdor um Beistand zu bitten und auf die Kensustrianer, bei denen er lange Zeit im Exil gelebt hatte, mildernd einzuwirken.
»Estra, wir müssen uns unterhalten«, riss Pashtak sie aus ihren Gedanken. »Du wirst mir alles über deine Mutter erzählen. Und lass Tokaro zu uns
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