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Trügerischer Friede

Trügerischer Friede

Titel: Trügerischer Friede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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schrill wie ein völlig verängstigtes Kind. Dann sackte er leblos in sich zusammen. Was wolltest du mir noch sagen, Vanslufzinek? Lodrik fixierte den Leichnam, murmelte düstere Formeln und konzentrierte sich auf die Beschwörung.
    Es dauerte nicht lange, und eine faustgroße, türkisfarbene Kugel glühte wie aus dem Nichts auf, flog aufgeregt in der Zelle umher und kreiste um den Toten.
    Lass mich gehen, Mörder!, verlangte die Seele verzweifelt. Ich will zu den Göttern und dich anklagen. Du wirst von ihnen nicht angehört werden. Er hielt das Seelenlicht gefangen und richtete seine restliche Aufmerksamkeit auf den Leichnam, der sich nach seinem Willen steif wie eine Puppe aufrichtete. Der Kopf mit den glasigen Augen drehte sich zur schwebenden Seele.
    Lodrik verstärkte seine Bemühungen, und der Tote stand auf, lief in der Zelle umher, und je länger er sich bewegte, um so natürlicher wurden seine Schritte, bis man ihn auf den ersten Blick nicht mehr von einem lebenden Menschen unterscheiden konnte. Schau, wie du dich bewegst. Du bist mein Spielzeug, wie du einst das Spielzeug meines Sohnes
    Govan gewesen bist.
    Lass mich gehen!, schrie die Seele verzweifelt.
    Nein, denn du sollst eine Strafe erleiden, die deinen Taten angemessen ist. Er tauchte die knöchernen Finger in die schimmernden Kugel, hörte Vanslufzinek schreien, bis die Hülle barst und die Seele in tropfengroßen Fragmenten auseinander stob und sich vollends auflöste. Befriedigt stand Lodrik auf und ging zur Tür, und als er sie schloss, kippte der Leichnam des Verbrechers auf die Steinplatten der Zelle. Der Nekromant wandelte lautlos durch die Gänge der Festung und war sehr zufrieden. Er konnte inzwischen die Seele eines jeden Verstorbenen aus dem Jenseits rufen und sie seinem Willen unterwerfen. Auch die toten Leiber gehorchten seiner Macht.
    Bald wollte er sich an die Seele eines schon lange gestorbenen Mannes wagen, um Norina eine Freude zu bereiten. Sie sehnte sich so nach ihm, dass es ihm wehtat, sie leiden zu sehen. Er ging die Treppe hinauf und näherte sich dem Ausgang. Eine Abteilung Soldaten, die ihm von oben entgegenkam und der er unmöglich hätte ausweichen können, machte unvermittelt kehrt, bevor sie aufeinander trafen.
    Lodrik wusste, weshalb.
    Sobald er seine Macht einsetzte, verbreitete er Angst. Unvorstellbare Angst, mit der er jedes lebendige Wesen zu töten vermochte; doch in abgeschwächter Form und wohl dosiert reichte sie aus, um Menschen und Kreaturen zu vertreiben und sie sich vom Hals zu halten. Das war der Grund, weswegen die Wärter kurz vor seinem Eindringen in die
    Verlorene Hoffnung ihren Posten an der Nebenpforte aufgeben hatten. Angst war das stärkste Gefühl, das ein lebendiges Wesen empfinden konnte. Gleich, was andere behaupteten, Angst überwand die Liebe.
    Er lief durch die Schatten des verlassenen Hofes, durchschritt die kleine Tür der Pforte und stand wieder auf der Straße neben der gewaltigen Mauer, während der Regen noch immer auf Ulsar niederprasselte.
    Lodrik spürte die Nässe und die Kälte kaum noch. Früher hätte er sich darüber geärgert und einen wasserdichten Mantel gewünscht, nun aber machte es ihm nichts mehr aus. Er bemerkte seit geraumer Zeit, dass sein Gefühl schwand, ein Umstand, den er als unabänderlich hinnahm. So hob er den Kopf und erlaubte den Tropfen, auf sein blasses, ausgemergeltes Gesicht zu fallen. Wenn es der Wille Vinteras oder seiner Magie war, dass er zu einem lebendigen Leichnam wurde, sollte es so sein. Es war die Strafe für das, was er den Menschen Ulldarts angetan hatte; für all das Leid, die Zerstörung in den unzähligen Schlachten mit all den unvorstellbaren Toten, die ihn nachts in seinen Träumen heimsuchten und stumm um sein Lager standen.
    Er hatte sich längst eine Aufgabe gesucht, um etwas von seiner Schuld abzubüßen: Diejenigen, die sich dem Zugriff der Gerichte entzogen und sich Unterschlupf gesucht hatten, würden seinen unsichtbaren Helfern nicht entrinnen.
    Lodrik verrieb den Regen im Gesicht. Kalte Tränen. Er senkte den Kopf und nahm seinen Gang wieder auf, um zu seiner Kutsche zu gelangen, mit der er zum Familiensitz der Bardrics zurückfuhr. Der Zweispänner stand dort, wo er ihn gelassen hatte. Der
    Kutscher wartete regungslos und apathisch auf die Rückkehr
    seines Herrn.
    Der Mann war das Ergebnis eines Missgeschicks - keine untote Marionette, die er selbst steuerte, sondern ein Mensch mit gebrochenem Verstand, dem die Angst jegliche

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