Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
sind? Du hast unser Enkelkind getötet. Das ist unverzeihlich, Carole. Und Zee — du weißt, was sie für eine aufopfernde Mutter ist — kann sich nicht vorstellen, warum du das getan hast.«
Avery schaute in das Fotoalbum, das sie sich angesehen hatte, bevor Nelson hereingekommen war.
»Es war sicher schwer für Zee, als du nach Korea mußtest.«
»Ja, das war es. Jack war damals noch ein Baby.«
»Und Tate ist gleich nach dem Krieg geboren worden?«
»Ja, direkt danach.«
»Und später warst du als Testpilot in Neumexiko?« Avery versuchte, möglichst noch etwas über jene Zeiten zu erfahren, von denen sie nur so wenig wußte.
»Da hat mich die Luftwaffe hingeschickt. Total verlassene Gegend. Zee fand es schrecklich. Sie haßte auch meine Arbeit. Testpiloten lebten sehr gefährlich.«
»Wie dein Freund Bryan Tate?«
Nelsons Züge wurden weicher, als erinnere er sich an gute Zeiten. Dann schüttelte er traurig den Kopf. »Es war so, als hätten wir ein Familienmitglied verloren. Ich habe danach die Arbeit aufgegeben, weil ich nicht mehr richtig bei der Sache war — das kann tödlich sein. Vielleicht ist so etwas auch mit Bryan passiert. Nach dem Tod meines Vaters übernahm ich die Ranch.«
»Aber das Fliegen fehlt dir, oder?«
»Ja, verflucht noch mal, sehr sogar. Trotz meines Alters erinnere ich mich noch gut an das Gefühl beim Fliegen und die Kameradschaft zwischen den Fliegern. Das kann eine Frau nicht verstehen.«
»Kameraden, so wie Bryan?«
Er nickte. »Er war ein guter Pilot. Der beste. Aber er wurde unvorsichtig und hat mit seinem Leben dafür bezahlt.« Sein Blick richtete sich wieder auf Avery. »Jeder muß für seine Fehler bezahlen, Carole. Für kurze Zeit kommt man vielleicht davon, aber irgendwann holen sie einen alle ein.«
Sie wandte unbehaglich den Blick ab. »Das denkst du auch über mich und die Abtreibung?«
»Ja. Du mußtest schon mit Scham und Schande bezahlen. Wir wollen nur hoffen, daß es Tate nicht auch noch den Wahlerfolg kostet.«
»Ja, das hoffe ich auch.«
Er sah sie prüfend an. »Weißt du, Carole, uns ist allen aufgefallen, daß du dich nach dem Unfall sehr verändert hast.«
Averys Herz schlug schneller. Hatten sie darüber gesprochen?
»Ja. Und zum Besseren, hoffe ich«, sagte sie.
»Mag sein, aber Zee glaubt, daß das alles nur Theater ist, weil du willst, daß Tate dich mit nach Washington nimmt. Du bist eine schöne und kluge junge Frau — zu klug, um sich mit mir anzulegen.« Er sah ernst aus, dann folgte ein breites Lächeln. »Aber wenn du wirklich versuchst, deine vergangenen Fehler wiedergutzumachen, kannst du auf mich zählen. Es ist unbedingt notwendig, daß Tates Familie voll hinter ihm steht, besonders seine Frau.«
»Ich stehe hundertprozentig hinter Täte.«
»Das sollte man auch erwarten.« Er stand auf und drehte sich an der Tür noch einmal um. »Benimm dich wie die Frau eines Senators, dann wirst du mit mir keine Schwierigkeiten haben.«
Auch Zees Haltung lockerte sich an diesem Abend ein wenig. Sie fragte sie sogar, ob ihr der Ausritt gefallen hatte. »Und es erstaunt mich, daß du Ghostly reitest. Ihr konntet euch doch nicht ausstehen.«
»Ich denke, ich hatte Angst vor ihm. Aber wir haben gelernt, einander zu vertrauen.«
Mona kam herein und rief Nelson ans Telefon. Nach ein paar Minuten kam er wieder und sah sehr erfreut aus.
»Meine Damen«, sprach er alle am Tisch Sitzenden an. »Packt
die Koffer. Wir fahren morgen nach Fort Worth. Tates Beliebtheit sinkt nach den neusten Umfragen, und seine Berater meinen, seine Familie sollte öfter zu sehen sein.«
»Aber wenn seine Beliebtheit nachläßt, ist das doch nicht gerade ein Grund zur Freude«, meinte Zee.
»Ich freue mich einfach, daß wir alle bald wieder zusammen sind«, erklärte Nelson seine gute Laune.
»Sie haben sich auch anders entschieden, was meine Anwesenheit betrifft?« fragte Avery zweifelnd.
»Offensichtlich.«
»Ich werde für Mandy und mich packen.« Alle unangenehmen Gedanken waren verflogen, weil sie wußte, daß sie bald wieder bei Tate sein würde. »Um wieviel Uhr geht’s los?«
Dorothy Rae geriet in Panik. Ihr Gesicht hatte die Farbe von kalter Hafergrütze, und sie rang die Hände.
»Muß ich auch mit?« fragte sie mit bebender Stimme.
»Das haben sie mir gesagt.« Nelson warf einen ernsten Blick auf sie und Fancy, die im Gegensatz zu ihrer Mutter höchst erfreut zu sein schien. »Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, daß ich von allen ein
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