Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
dabei – alle wie aus dem Ei gepellt, bis auf das junge Mädchen.«
»Irgendwas Bemerkenswertes? Der Grauhaarige?«
Van überlegte, ob er es Irish sagen sollte, und entschied sich dafür. »Er war auch da.«
Irish fluchte. »Das gefällt mir nicht, Van. Vielleicht sollten wir doch das FBI informieren, ohne Avery etwas zu sagen.«
»Das würde sie dir nie verzeihen.«
»Aber sie würde es überleben.«
Sie schwiegen eine Weile. Dann sagte Irish: »Morgen brauchst du nicht bei Rutledge zu bleiben. Es reicht, wenn du bei seiner Ankunft am Flughafen bist. Am Tag der Wahl mußt du dich den ganzen Tag in Averys Nähe aufhalten. Und wenn du irgendwas Verdächtiges siehst, egal was es ist, vergiß ihre Argumente und ruf die Polizei.«
»Ich bin ja nicht dumm, Irish. Morgen habe ich noch viel zu tun. Ich bin noch nicht fertig mit den Bändern.«
»Was suchst du eigentlich?«
»Das sage ich dir, sobald ich es gefunden habe.«
Irish verabschiedete sich, und Van machte sich sofort wieder an die Arbeit. Er wußte selbst nicht genau, wonach er eigentlich suchte. Er würde es erst wissen, wenn er es gefunden hatte. Vielleicht war alles auch nur Zeitverschwendung.
Irish verzog das Gesicht, nachdem er das Magenmittel getrunken hatte. Eigentlich hätte er langsam an den unangenehmen Nachgeschmack gewöhnt sein müssen, so viel wie er von dem Zeug trank. Avery wußte nichts davon. Niemand wußte es. Er wollte nicht, daß jemand von seiner Krankheit erfuhr, damit er nicht durch einen Jüngeren ersetzt wurde, bevor er sich mit vollem Gehalt zur Ruhe setzen konnte. Die Hunde im Management hatten das Geschäft nie von der dreckigen Seite gesehen, wie Irish es sein Leben lang getan hatte. Sie wollten nur zur richtigen Zeit die richtigen Sensationen in den Nachrichten haben, damit sie ihre Werbezeit gut verkaufen konnten. Ihm machte das nichts aus. Er wollte nur für seine Arbeit respektiert werden.
Und solange KTEX noch Spitzeneinschaltquoten hatte wegen der guten Nachrichtensendungen, war alles in Ordnung. Nur wenn die Zahlen sanken, würden sich die Leute in den Chefetagen vielleicht von einem alten Mann mit Magengeschwür zuerst trennen.
Also versteckte er seine Medikamente.
Er machte das Licht im Badezimmer aus und ging ins Schlafzimmer. Wie er es üblicherweise tat, setzte er sich auf die Bettkante und stellte den Wecker. Dann nahm er wie gewöhnlich den Rosenkranz aus der Schublade.
Selbst wenn man gedroht hätte, ihn zu foltern, hätte er nie zugegeben, daß er dies gewöhnlich tat. Er ging nie zur Beichte oder in die Messe. Aber er betete oft. Heute abend betete er voller Inbrunst für Tate Rutledge und seine kleine Tochter. Er bat um Averys Schutz und flehte Gott an, ihr Leben zu erhalten, was auch immer geschehen möge.
Zuletzt betete er, wie jede Nacht, für Rosemary Daniels’ unsterbliche Seele und erflehte Gottes Vergebung dafür, daß er die Frau seines besten Freundes liebte.
KAPITEL 44
An diesem Abend kam Fancy spät nach Hause — in Begleitung von zwei Polizisten, die sie in Tates Suite ablieferten. Sie sei zwar betrunken gefahren, und das auch noch zu schnell, aber um dem Bewerber um den Senatorenposten die schlechte Publicity zu ersparen, hätten sie sie statt ins Gefängnis direkt hierhergebracht.
Tate bedankte sich herzlich und schloß die Tür. Außer ihm waren nur noch Avery und Eddy wach. Aber jetzt lag eine bedrohliche Stille über dem Zimmer.
»Fancy, wo warst du?« fragte Avery leise.
Sie machte eine Pirouette. »Beim Tanzen, aber um das zu verstehen, seid ihr alle viel zu alt. Und zu korrekt. Und...«
»Du dummes kleines Flittchen.« Eddy versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Die Wucht des Schlages warf sie um.
»Fancy!« Avery kniete sich neben das verblüffte Mädchen. Blut sickerte aus einer Platzwunde an ihrer Lippe.
»Eddy, was, zum Teufel, ist los mit dir?« fragte Tate und ergriff ihn am Arm.
Eddy schüttelte Tate ab und beugte sich über Fancy. »Willst du alles ruinieren? Das hätte uns die Wahl kosten können.«
Tate packte ihn am Kragen und zerrte ihn zurück. »Eddy, was denkst du dir eigentlich?«
»Sie hat es herausgefordert, daß man ihr eine Abreibung erteilt.«
»Aber nicht von dir!« brüllte Tate. Er gab Eddy einen kräftigen
Stoß, so daß er rückwärts stolperte. Eddy fing sich wieder, schnaubte und stürzte sich auf Tate.
»Hört auf, alle beide!« Avery sprang auf und stellte sich zwischen sie. »Das ganze Hotel wird zusammenlaufen, und das gibt dann
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