Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
hier setzen«, sagte er und schlug Tate auf die Schulter, »wenn ich nicht glauben würde, daß er dem verfluchten Dekker am Wahltag zeigt, wo’s langgeht? Hä?«
»Nein, Barney, bestimmt nicht«, erwiderte sie lachend.
»Da hast du verflucht recht.« Er steckte sich die Zigarre in den Mundwinkel, griff nach ihr und drückte sie noch einmal, daß ihre Rippen knirschten. »Ich würde euch ja schrecklich gern alle zum Essen einladen, aber ich muß zu dem Treffen in der Kirche.«
»Wir wollen das nicht verhindern«, sagte Tate, bemüht, nicht zu lachen. »Und nochmals vielen Dank für die Spende.«
Barney winkte ab. »Mama schickt ihren Beitrag heute mit der Post ab.«
Tate schluckte schwer. »Ich... ich dachte, der Scheck wäre von euch beiden.«
»Nein, verdammt noch mal, Junge. Das war nur meine Hälfte. Ich muß gehn. Die Kirche ist ziemlich weit von hier, und Mama dreht durch, wenn ich in der Stadt schneller als siebzig fahre. Ich habe versprochen, es nicht zu tun. Also, paßt auf euch auf, hört ihr?«
Er trottete hinaus. Als er draußen war, sah die Sekretärin zu Tate auf und stieß einen Pfiff aus. »Hat er gesagt, seine Hälfte?«
»Ja, genau.« Tate schüttelte erstaunt den Kopf. »Er scheint wirklich zu glauben, daß die Umfragen nur Unsinn sind.«
Mary lachte. Avery auch. Aber Tates Lächeln verblaßte, als er Avery in sein Büro schob und die Tür schloß. »Was machst du hier? Brauchst du Geld?«
Wenn er so schroff mit ihr sprach, schnitten seine Worte jedesmal wie Glassplitter in ihr Herz. Und es ärgerte sie auch maßlos.
»Nein, ich brauche kein Geld«, erwiderte sie kühl, als sie sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch setzte. »Wie du mir empfohlen hast, war ich bei der Bank und habe eine neue Scheckkarte unterschrieben. Ich habe ihnen das mit der Handschrift erklärt.«
»Also, warum bist du dann hier?«
»Ich brauche etwas zu tun.«
Averys unerwartete Bemerkung erfüllte ihren Zweck. Sie bekam sofort seine volle Aufmerksamkeit. Er hielt mißtrauisch ihren festen Blick, lehnte sich zurück und legte die Stiefel auf die Schreibtischkante. »Etwas zu tun?« Er verschränkte die Finger über seiner Gürtelschnalle. »Ich höre.«
»Ich langweile mich, Tate.« Ihr Frust kochte auf. Ruhelos erhob
sie sich. »Ich sitze den ganzen Tag auf der Ranch fest und habe nichts Vernünftiges zu tun. Ich bin das Nichtstun leid. Mein Hirn verwandelt sich in Brei.«
Während sie ziellos in seinem Büro hin und her ging, stellte sie verschiedenes fest — vor allem, daß überall gerahmte Fotos hingen, aber keines von Carole. Auf der Suche nach Andeutungen über seine Vergangenheit blieb sie vor einer Vergrößerung eines Schnappschusses aus Vietnam stehen.
Tate und Eddy standen Arm in Arm vor einem Jagdbomber. Der eine grinste ebenso frech wie der andere. Avery hatte zufällig erfahren, daß sie zusammen im College gewesen waren, bis Tate seine Ausbildung zurückgestellt hatte, um sich bei der Luftwaffe zu melden. Bis jetzt hatte sie nicht gewußt, daß Eddy ihn in den Krieg begleitet hatte.
»Seit wann machst du dir Gedanken über dein Gehirn?« fragte er. »Geh doch in einen Aerobic-Kurs.«
»Dort bin ich schon, aber das ist nur dreimal die Woche eine Stunde.«
»Dann mach noch einen zweiten Kurs.«
»Tate!«
»Was denn? Was soll eigentlich diese ganze Geschichte?«
»Das versuche ich dir gerade klarzumachen. Aber du willst mir ja nicht zuhören.«
Er sah zur geschlossenen Tür und dachte an die Sekretärin dicht dahinter. Mit leiserer Stimme sagte er dann: »Du bist doch immer gern ausgeritten, aber seit du wieder zu Hause bist, hast du nicht einmal auf einem Pferderücken gesessen.«
Nein, das stimmte. Avery ritt auch gern, aber sie wußte nicht, wie gut Carole hatte reiten können, und wollte nichts riskieren.
»Ich habe keine rechte Lust mehr dazu«, sagte sie ausweichend.
»Das dachte ich mir schon«, erwiderte er sarkastisch, »als du die Preisschilder von der teuren Ausrüstung abgemacht hast.«
Avery hatte die Reitkleidung in Caroles Wandschrank gesehen und sich gefragt, ob sie die Sachen wohl je getragen hatte. »Ich werde schon wieder anfangen.« Um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, betrachtete sie wieder die Fotos.
Es gab mehrere Bilder von Nelson in Uniform, die eine Art Chronik seiner Militärkarriere darstellten. Besonders ein Bild fand sie bemerkenswert, weil es Ähnlichkeiten mit dem von Tate und Eddy hatte.
Auf dem Foto war Nelsons Arm kameradschaftlich um die
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