Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
zuschwellen, wenn du es nicht kühlst. Willst du, daß dich deine Eltern in diesem Zustand sehen, und ihnen die gleiche Geschichte erzählen wie mir?«
Verärgert griff Fancy nach dem Eisbeutel und hielt ihn an ihr Auge. Sie wußte, daß ihre Tante recht hatte.
Fancy war verwirrt. Warum war Carole so freundlich zu ihr? Seit sie aus dieser Luxusklinik zurückgekommen war, schien sie seltsam verändert. Sie brüllte ihr Kind nicht mehr an. Sie versuchte, sich zu beschäftigen, statt den ganzen Tag nur rumzusitzen, und sie schien Onkel Tate tatsächlich wieder gernzuhaben.
Fancy hatte immer gefunden, daß es dumm von Carole war, ihre Ehe aufs Spiel zu setzen. Onkel Tate sah gut aus. Alle Mädchen, die sie kannte, schwärmten für ihn. Wenn ihr Instinkt auf dem Gebiet so gut war, wie sie annahm, dann war er sicher phantastisch im Bett.
Sie wünschte, sie hätte jemanden, der sie so liebte, wie Onkel Tate Tante Carole geliebt hatte, als sie geheiratet hatten. Er hatte sie wie eine Königin behandelt.
»Was machst du eigentlich noch so spät hier?« fragte Fancy. »So ganz allein und im Dunkeln.«
»Ich konnte nicht einschlafen. Ich dachte, eine Tasse Kakao wurde mir vielleicht helfen.« Eine halbleere Tasse mit Kakao stand auf dem Tisch.
»Kakao? Das ist ’n Witz.«
»Genau das richtige Schlafmittel für die Frau eines Senators«, erwiderte sie mit einem matten Lächeln.
Fancy, die noch nie um den heißen Brei geredet hatte, fragte: »Also, du versuchst, dich zu benehmen?«
»Was meinst du damit?«
»Du weißt ganz genau, was ich meine. Du änderst dein Image, in der Hoffnung, daß Onkel Tate gewählt wird und du bei ihm bleiben kannst, wenn er nach Washington geht.« Sie bedachte Carole mit einem vertraulichen Blick. »Sag mal, schläfst du nicht mehr mit deinen Freunden, oder hast du nur Eddy gestrichen?«
Avery zuckte zusammen und wurde bleich. Sie klemmte die Unterlippe zwischen die Zähne und fragte tonlos: »Was hast du gesagt?«
»Du brauchst gar nicht die Unschuldige zu spielen, ich hatte die ganze Zeit so einen Verdacht«, erklärte Fancy locker. »Ich habe es Eddy auch ins Gesicht gesagt.«
»Und was hat er geantwortet?«
»Nichts. Er hat genau so geantwortet, wie sich das für einen Gentleman gehört.« Mit einem unhöflichen Schnauben ging sie zur Tür. »Keine Sorge. Hier ist schon genug Scheiße im Gange. Ich werde es Onkel Tate nicht sagen. Außer...«
Sie drehte sich mit kriegerischer Haltung wieder um. »Außer du fängst deine Affäre mit Eddy wieder an. Er soll mit mir bumsen, nicht mit dir. Gute Nacht.«
Mit dem Gefühl, sich klar und unmißverständlich ausgedrückt zu haben, rauschte Fancy aus der Küche.
Erst Tage später merkte sie, daß Carole die einzige in der Familie war, der überhaupt aufgefallen war, daß sie ein blaues Auge und einen Riß in der Lippe hatte. Und sie hatte ihr keinerlei Vorhaltungen deswegen gemacht.
KAPITEL 20
Van Lovejoys Wohnung wäre für Schöner Wohnen ein Alptraum gewesen. Er schlief auf einem schmalen Lattenrost mit Matratze, der auf Ziegelsteinen lag. Die anderen Möbelstücke waren ähnlich provisorisch und stammten vom Flohmarkt oder aus Haushaltsauflösungen.
Die weitgehend leerstehenden Räume waren hauptsächlich mit Videobändern gefüllt. Dazu kam noch die Ausrüstung, die er brauchte, um Bänder zu bearbeiten, zu kopieren und abzuspielen. Van war besser ausgerüstet als manch eine kleine Firma, die Videofilme herstellte.
Überall stapelten sich Videokataloge. Er hatte alle Fachzeitschriften abonniert und suchte sie monatlich nach Filmen durch, die er noch nicht besaß oder noch nicht gesehen hatte. Fast sein ganzes Einkommen ging dafür drauf, die Sammlung auf dem neuesten Stand zu halten.
Seine Filmsammlung war mindestens so gut wie die einer großen Videothek. Er beschäftigte sich ausführlich mit kinematographischen und regietechnischen Feinheiten. Sein Geschmack war vielseitig, von Orson Welles bis Frank Capra, von Sam Pekkinpah bis Steven Spielberg. Ob sie nun schwarz-weiß oder farbig aufgenommen waren, jede Kamerabewegung faszinierte ihn.
Außer den Spielfilmen umfaßte seine Sammlung auch Serien und Dokumentarfilme, dazu natürlich jedes Stückchen Film, das er selbst im Laufe seiner Karriere belichtet hatte. Im ganzen Land war bekannt, daß man bei Van Lovejoy Hintergrundinformationen zu fast allen Themen fand.
Er verbrachte seine ganze Freizeit damit, sich Bänder anzusehen. Heute abend konzentrierte er sich ganz auf die
Weitere Kostenlose Bücher