Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
den Geruch ihrer Reiterin nicht kannte, aber Avery war es egal, was der Mann glaubte.
Carole Rutledge war ein Ungeheuer gewesen — ihrem Mann, ihrem Kind und allem gegenüber, womit sie zu tun hatte. Die Szene beim Frühstück hatte Avery verletzt, aber jetzt wußte sie wenigstens, worum es ging. Jetzt konnte sie verstehen, warum Tate einen solchen Groll gegen seine Frau hegte.
Avery konnte sich alles genau vorstellen. Carole war fremdgegangen und hatte kein Geheimnis daraus gemacht. Ihre Treulosigkeit war für Tate unerträglich, aber seiner politischen Zukunft wegen hatte er beschlossen, die Ehe bis nach der Wahl aufrechtzuerhalten.
Seit einer ganzen Weile schon hatte er nicht mehr mit seiner Frau geschlafen. Er war sogar aus ihrem Schlafzimmer ausgezogen. Aber Carole hatte ihn doch noch einmal verführt.
Als Avery von ihrem Ritt zurückkam, half Mandy Mona beim Plätzchenbacken. Die Haushälterin war sehr lieb mit Mandy. Avery bewunderte Mandys Kekse und ließ sie in der Obhut der älteren Frau.
Das Haus war still. Sie hatte am Morgen Fancy mit ihrem Mustang davonbrausen sehen. Jack, Eddy und Tate waren um diese Tageszeit immer in der Stadt, entweder in der Wahlkampfzentrale oder in der Anwaltspraxis. Dorothy Rae hielt sich wie üblich in ihrem Flügel des Hauses auf. Mona hatte ihr gesagt, daß
Nelson und Zee nach Kerrville gefahren waren und erst am Nachmittag zurückkämen. Als Avery in ihrem Zimmer angekommen war, warf sie die Reitgerte aufs Bett und zog die Reitstiefel aus. Sie ging barfuß ins Badezimmer und drehte die Wasserhähne der Dusche an.
Nicht zum ersten Mal hatte sie ein eigenartiges Gefühl. Sie spürte, daß während ihrer Abwesenheit jemand in ihrem Zimmer gewesen war. Sie bekam eine Gänsehaut auf den Armen, als sie ihren Toilettentisch untersuchte.
Sie konnte sich nicht erinnern, ob sie ihre Haarbrüste dort hatte liegenlassen. Stand nicht die Handlotion anders? Sie war sicher, daß sie das Schmuckkästchen nicht offengelassen hatte. Auch im Schlafzimmer waren Dinge bewegt worden, während sie fort war. Jetzt tat sie etwas, was sie noch nie gemacht hatte, seit sie Caroles Zimmer bewohnte — sie schloß die Tür ab.
Sie duschte und zog sich einen dicken Bademantel an. Immer noch unsicher und verwirrt beschloß sie, sich vor dem Anziehen noch eine Weile hinzulegen. Als ihr Kopf auf das Kopfkissen traf, knisterte es. Jemand hatte ein Blatt Papier zwischen Kissen und Kissenbezug gesteckt.
Avery betrachtete das Papier mißtrauisch. Es war zweimal zusammengefaltet, aber auf der Außenseite stand nichts. Sie fürchtete sich, es zu öffnen.
Eines war sicher — die Nachricht war kein Irrtum. Sie war geschickt genau dorthin gelegt worden, wo nur sie sie finden würde.
Sie faltete das Papier auseinander. Eine Zeile war mit Schreibmaschine auf das weiße, unlinierte Papier geschrieben. Was auch immer du tust, es funktioniert. Bleib dabei.
»Nelson?«
»Hmm?«
Seine abwesende Antwort irritierte Zinnia. Sie legte die Haarbürste weg und drehte sich auf dem Stuhl vor dem Toilettentisch zu ihm um. »Es ist wichtig.«
Nelson senkte die Zeitung. »Entschuldige, Liebe. Was hast du gesagt?«
»Noch nichts.«
»Stimmt etwas nicht?«
Sie waren in ihrem Schlafzimmer. Die Zehnuhrnachrichten, die sie sich immer ansahen, waren vorüber.
Zees dunkles Haar glänzte nach dem Bürsten. Die silberne Strähne wurde durch das Lampenlicht betont. Ihre Haut, die sie wegen der starken Sonne in Texas umsichtig pflegte, war glatt. Sie hatte nicht viele Sorgenfältchen, aber auch nicht viele Lachfältchen.
»Irgend etwas stimmt nicht zwischen Carole und Tate«, sagte sie.
»Ich glaube, sie hatten heute Streit.« Er stand auf und begann, sich auszuziehen. »Beim Abendessen waren sie beide sehr still.«
Auch Zee war die bedrohliche Stimmung aufgefallen. In Bezug auf die Stimmungen ihres jüngeren Sohnes war sie besonders empfindlich. »Tate war nicht nur bedrückt, er war wirklich verärgert. Unter solchen Umständen ist Carole gewöhnlich am vergnügtesten. Immer wenn er wütend ist, reizt sie ihn noch mehr, indem sie alberne Bemerkungen macht.«
Nelson hängte seine Hose säuberlich auf den Bügel in den Schrank zu den anderen Hosen. Unordnung war ihm zuwider. »Heute abend war sie nicht albern. Sie hat kaum ein Wort gesagt.«
Zee umfaßte die Rückenlehne des Stuhls. »Das meine ich ja gerade, Nelson. Sie war genauso durcheinander und betroffen wie Tate. So war es noch nie, wenn sie Streit
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