Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
verkündete Irish schwungvoll, ohne sie auch nur im mindesten zu schonen. »Immer scharf auf jede heiße Spur. Du hattest frisches Blut gewittert.«
»Das stimmt genau! Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes!« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich sah die Leichen, hörte die Kinder kreischen wegen der schrecklichen Dinge, die sie entdeckt hatten, als sie aus der Schule kamen. Ich sah sie weinen über das, was ihr Vater getan hatte.«
»Was er vermutlich getan hatte, verdammt. Du lernst nie dazu, Avery. Er hatte angeblich seine Frau ermordet, bevor er sich das Gehirn aus dem Kopf geblasen hat.« Irish nahm schnell einen Schluck Whisky. »Aber du hast deinen Live-Bericht gemacht und dieses ungeheuer wichtige, kleine, aber rechtlich notwendige Wort ausgelassen. Und das brachte deiner Fernsehanstalt eine Verleumdungsklage ein.
Du hast vor der Kamera die Kontrolle verloren, Avery. Die Objektivität hat dich im Stich gelassen. Tränen strömten dir über das Gesicht, und dann — dann —, als wäre das alles noch nicht genug, hast du dein Publikum gefragt, wie so etwas möglich sein konnte — wie ein Mann, ein Volksvertreter, etwas derart Bestialisches tun konnte.«
Sie hob den Kopf und sah ihn herausfordernd an. »Ich weiß, was ich getan habe, Irish. Du brauchst mich nicht an mein Versagen zu erinnern. Ich versuche jetzt seit zwei Jahren, es zu überwinden. Ich habe etwas falsch gemacht, aber ich habe daraus gelernt.«
»Blödsinn«, donnerte er. »Du machst wieder haargenau denselben Fehler. Du stürzt dich in eine Angelegenheit, die dich nichts angeht. Du machst Schlagzeilen, anstatt sie zu schreiben. Ist das der große Durchbruch, auf den du gewartet hast? Ist das die große Story, die dich wieder ganz nach oben bringen soll?«
»Also gut, ja!« schleuderte sie ihm entgegen. »Das war einer der Gründe, warum ich es so gemacht habe.«
»Das war der Grund für alles, was du je getan hast. Du versuchst immer noch, deinen Vater zu beeindrucken. Du versuchst, seinem Namen gerecht zu werden, und hast das Gefühl, daß du bisher versagt hast.« Er kam auf sie zu. »Ich werde dir jetzt etwas erzählen — etwas, was du nicht hören willst.« Er schüttelte den Kopf und sagte jedes Wort ganz deutlich. »Er ist es nicht wert.«
»Sei still, Irish.«
»Er war dein Vater, Avery, und mein bester Freund. Ich kannte ihn länger und wesentlich besser als du. Ich habe ihn geliebt, aber doch sehr viel objektiver gesehen, als du oder deine Mutter das je gekonnt hätten.«
Er stützte eine Hand auf die Armlehne des Sofas und beugte sich zu ihr vor. »Cliff Daniels war ein brillanter Fotograf. Für mich war er der beste. Ich bestreite nicht sein Talent mit der Kamera, aber er hatte nicht das Talent, die Menschen glücklich zu machen, die ihn geliebt haben.«
»Ich war glücklich. Immer wenn er zu Hause war —«
»Und das war ein Bruchteil deiner Kindheit. Und du warst untröstlich, wann immer er wieder verschwand. Ich habe es miterlebt, wie Rosemary versucht hat, die langen Trennungen zu ertragen. Selbst wenn er zu Hause war, war sie unglücklich, weil sie wußte, daß es nur ein kurzer Besuch sein würde. Und während der ganzen Zeit fürchtete sie sich vor dem Abschied. Cliff wollte die Gefahr. Sie war sein Lebenselixier, das, was ihm Kraft gab. Für deine Mutter war das wie eine Krankheit, die ihre Jugend und ihre Vitalität verzehrt hat. Sein Leben wurde ihm glücklicherweise schnell genommen. Ihr Tod ging langsam und qualvoll vor sich. Schon lange vor jenem Nachmittag, an dem sie die Pillen geschluckt hat, hatte sie zu sterben begonnen.
Warum also verdient er deine blinde Bewunderung und finstere Entschlossenheit, seinem Namen gerecht zu werden? Der wertvollste Preis, den er je gewonnen hat, war nicht der blöde Pulitzerpreis. Das war nämlich deine Mutter, und er war zu dumm, um das zu bemerken.«
»Du bist nur eifersüchtig auf ihn.«
Irish hielt ihren Blick stand. »Ja, ich war eifersüchtig darauf, wie Rosemary ihn geliebt hat.«
Da wurde Avery plötzlich schwach. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie an ihre Wange. Tränen benetzten sie. »Ich will nicht, daß wir uns streiten, Irish.«
»Das tut mir leid, denn leider scheinst du das zu brauchen. Ich kann nicht zulassen, daß du so weitermachst.«
»Ich muß. Ich bin dazu verpflichtet.«
»Bis wann?«
»Bis ich weiß, wer Tate bedroht, und in der Lage bin, den Mörder zu entlarven.«
»Und was ist, wenn dieser sogenannte Attentäter nie
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