Trugschluss
Doppelkinn hatte. »Und ich kann
Ihnen sagen, die Spur führt nach Münsingen.«
Die beiden Kriminalisten blickten ihn
fragend zwischen den drei Gläsern einer abgehängten Lampe hindurch an. Die
Glühbirnen blendeten.
»Ja, Münsingen«, wiederholte Steinbach, »zum
Truppen-übungsplatz. Sperrgelände. Das wissen Sie doch. Soll aber in zwei
Jahren, glaub ich, aufgelöst werden. Doch bis dahin wird dort in einem Bunker
eine Schaltzentrale betrieben – eine von vielen, die es in ganz Europa gibt.«
Häberle holte tief Luft, während Linkohr
Notizen machte.
»Wir sind drauf gekommen, weil wir einen
anonymen Hinweis gekriegt haben«, fuhr der Mann fort.
»Anonym«, stellte Häberle zweifelnd fest.
In Steinbachs Gesicht war der Anflug eines
Lächelns zu erkennen. »Ja, anonym, natürlich«, wiederholte er, »nachdem die
Messergebnisse veröffentlicht waren. Ein Mann hat angerufen. Hat nur gesagt,
wir sollten uns von den ›Offiziellen‹ nicht einlullen lassen. Hat aber gleich
wieder aufgelegt.«
»Wann war das?«, wollte der Kommissar
wissen.
Steinbach überlegte kurz. »Vor einem
halben Jahr. Zwei, drei Wochen später dann ein zweites Mal. Der Anrufer machte
den Eindruck, als ob er in Sorge sei über das, was da ablief. Er wollte
allerdings keine Details nennen, nur, dass es da eine Schalt-zentrale gebe –
und dass er uns unterstütze in unserem Kampf gegen das Brummton-Phänomen.«
»Und wie hat er sich dies vorgestellt?«
Häberle verschränkte die Arme.
Steinbach zuckte mit den Schultern. »Hat
er nicht gesagt. Nur, dass der Hinweis auf Münsingen reichen müsse. Am nächsten
Tag lag dann ein Taschenbuch in meinem Briefkasten, kommentarlos. Über
Einsteins Relativitätstheorie.«
»Über was …?«, entfuhr es Häberle, obwohl
er jedes Wort verstanden hatte. Auch Linkohr schaute verdutzt auf.
39
Jens Vollmer war unglücklich. Die nebel-triste Stimmung drückte
ihm aufs Gemüt. Er hatte an diesem Samstagabend Anjas Handy-Nummer gewählt,
während er am Fenster stand und über die Dächer Luganos zum dunklen San
Salvatore hinüber blickte. Der See lag pechschwarz da unten, von dem
jenseitigen Berg schimmerten die Lichter durch die feuchte Luft.
Als er Anjas Stimme hörte, fühlte er sich
besser. Er lehnte sich an den Sims und malte sich aus, wie die junge Frau jetzt
vor ihm stehen würde. Sogar durchs Telefon wirkte sie positiv gestimmt.
»Du bist in Sorge«, sagte sie plötzlich
und Jens war ihr insgeheim dankbar dafür, dass sie dies schon nach wenigen
Worten erkannt hatte.
»Anja«, erwiderte er langsam, »entschuldige,
aber vielleicht liegt’s auch nur daran, dass ich plötzlich Zeit hab, über alles
nachzudenken. Über Claudia und über mich.«
»Euer Job frisst euch alle noch auf«,
meinte die junge Frau, ohne vorwurfsvoll zu sein. »Joe hat auch immer weniger
Zeit.« Sie machte eine kurze Pause. »Und an Weihnachten wird er jetzt auch
nicht da sein.«
Vollmer kniff die Augen zusammen, als
wolle er die Lichter vom San Salvatore genauer betrachten. »Ich hab gar nicht
gewusst, dass er so lange in den Staaten bleibt.«
Er hörte Anjas Atem. »Ich auch nicht.«
Dann aber klang sie schon wieder positiv gestimmt: »Wir müssen’s nehmen, wie’s
kommt. Auch wenn mir persönlich überhaupt nicht gefällt, womit ihr euch
befasst, aber das weißt du, Jens. Diese Geheimniskrämerei versteh ich immer
weniger, um ehrlich zu sein. Und sie gibt mir zu denken.«
Der junge Mann schluckte. Er wusste für
einen Augenblick nicht, was er sagen sollte. »Vielleicht«, begann er vorsichtig
und spürte, wie sein Herz klopfte, »vielleicht sollten wir beide uns mal treffen.
Nur wir zwei.«
Jetzt war es raus. Er wartete auf eine
Antwort, die nur zögernd kam: »Warum nicht?!«, hörte er die Stimme, »lass uns
doch mal in Ruhe drüber reden. Über alles.«
Vollmer verengte die Augenbrauen. Ȇber
alles?«, fragte er eher zaghaft.
»Mensch, Jens«, sagte die junge Frau, »über
alles, was du willst. Sei doch nicht immer so verklemmt. Du bist im Tessin –
und nicht in Deutschland.«
Der junge Mann lächelte. »Wann schlägst du
vor?«
»Am nächsten Wochenende – in Morcote, bei
mir daheim.«
Das hatte er gehofft. »Danke«, sagte er.
Mehr fiel ihm dazu nicht ein.
»Wir müssen ja niemandem erzählen, dass
wir uns treffen«, schlug sie vor und hatte etwas Keckes in der Stimme.
»Ganz sicher nicht«, erwiderte Vollmer, »weder
Claudia, noch Joe.«
»Weißt du«, hörte er die Stimme plötzlich
eine
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