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TS 04: Das endlose Schweigen

TS 04: Das endlose Schweigen

Titel: TS 04: Das endlose Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilson Tucker
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er die wenigen Geldstücke in seiner Tasche und beschloß, diesem offensichtlichen Übel recht bald abzuhelfen. Er sah sich das Stück ein zweites Mal an. Als er das Theater verließ, begann es bereits zu dämmern.
    Sein erster Raub hatte ihm Kleidung und ein wenig Taschengeld eingebracht, sein zweiter jedoch eine gefüllte Brieftasche. Er verließ die Stadt auf dem schnellsten Weg und begab sich in eine andere.
    Es war noch früh genug, um gebrauchte Kleider zu kaufen. Den Overall warf er in einer Seitenstraße fort. Den alten Ford ließ er irgendwo stehen, setzte sich in einen Bus und befand sich spät am Abend in Little Rock.
    Sehr schnell fand er, was er suchte: eine kleine Bar. Hier gab es Radio und Zeitungen, Mädchen und Alkohol. Das Radio plärrte alle Viertelstunde die Nachricht, daß ein feindlicher Agent über den Fluß gelangt sei und unbedingt gefaßt werden müsse. Die Bevölkerung wurde gebeten, bei der Suche nach ihm behilflich zu sein.
    „Den kriegen sie sehr schnell“, sagte Gary und nickte dem Barmixer blinzelnd zu. „Die Soldaten kriegen jeden.“
    Der Barmixer nickte zustimmend.
    „Bisher haben sie noch jeden erwischt, und das ist gut so. Sie wissen, was hier in Little Rock los war, ehe die Soldaten die Macht ergriffen?“
    Gary nickte, obwohl er keine Ahnung hatte.
    Wenig später verließ er die Bar und wanderte durch die Straßen. Das grelle Neonlicht und die funkelnde Reklame – ja, das hatte er in den vergangenen Jahren auch vermißt. Erst jetzt bemerkte er das. Nur wenig Autos belebten die Stadt, aber sie verbreiteten einen vertrauten Gestank von Benzin und Öl, der ihm immer deutlicher sagte: „Jetzt lebst du erst wieder richtig, Gary! Du lebst!“
    Im etwas dunkleren Stadtteil fand er ein Mädchen, daß ein schäbiges Zimmer ihr eigen nannte und bereit war, ihn für wenige Tage aufzunehmen. Er wußte, daß nur seine volle Brieftasche sie dazu bewog, aber das war ihm egal. Sie war ein Mädchen, und das genügte ihm vollauf. Für einige Tage brauchte er sich um Unterkunft und Mittagessen nicht zu sorgen.
    Sie sprach viel am folgenden Tag, und er hörte ihr zu. So vergaß er völlig, das Radio anzustellen oder sich eine Zeitung zu besorgen. Ihre Stimme genügte ihm, mehr wollte er jetzt nicht vom Leben. Und so erfuhr er auch nicht, was inzwischen Neues geschehen war.
    Am Nachmittag erst unternahm er einen kleinen Streifzug durch die Stadt und hier und da kaufte er etwas ein. Einen Rasierapparat für sich, eine Tafel Schokolade für das Mädchen. Für den morgigen Tag besorgte er Fleisch und Gemüse. Vollbeladen mit all den Dingen erreichte er schließlich kurz vor Sonnenuntergang die Wohnung, drückte die Klinke nieder und betrat das Zimmer. Auf der Schwelle blieb er wie versteinert stehen und starrte auf den halbnackten Körper des Mädchens, das tot am Boden lag. Ihr Körper begann bereits, sich zu verfärben.
    Er ließ alles fallen, drehte sich um und rannte aus dem Haus. Ohne zu überlegen, sprang er auf den nächstbesten Bus, der ihn weiter nach Süden brachte.
    Er wußte nicht, ob er schon jemals in Shreveport gewesen war, vielleicht nur durchgefahren. Aber eins wußte er: in Little Rock war ein Mädchen durch seine Schuld qualvoll gestorben. Die Erinnerung an den verfärbten Körper und an ihre anklagenden Augen verließ ihn auch dann nicht, als er durch die hellerleuchteten Straßen von Shreveport schritt.
    Auch hier würde er nicht länger als einen Tag bleiben können. Einen Tag nur, dann mußte er weiter, wollte er nicht entdeckt werden. Seine eigene Vergangenheit holte ihn nach vierundzwanzig Stunden ein. Vierundzwanzig Stunden hinter ihm schritt der Tod.
    Hoffmanns waren nicht von ihm angesteckt worden, denn sie waren genauso immun wie er. Alle, die jetzt noch östlich des Flusses lebten, waren immun. Aber sie trugen den Tod in sich, für jene, die westlich des Flusses wohnten. Er selbst tötete unschuldige Menschen, im Bus, in den Geschäften, in den Bars.
    In einem Lokal saß er still in einer Ecke, isoliert von den anderen Gästen durch einige leere Tische. An der Theke stand ein Taxifahrer und las in einer Zeitung. Gary wußte, ohne hinzusehen, daß sich die Hauptschlagzeile mit ihm befaßte. Ein Bild von ihm hatten sie zum Glück noch nicht gebracht. Ob sie keins besaßen?
    Nicht nur die Armee war hinter ihm her, sondern nun auch die gesamte Bevölkerung. Alle suchten ihn, viele sahen ihn; aber sie würden es erst wissen, wenn es zu spät war. Verflucht sei Oliver, der

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