TS 75: Einzelgänger des Alls
diesem Zeitpunkt sollte er schon längst tot sein und nicht eben erst aufwachen.
Abgesehen davon lag er auf hartem Gestein, welches seinen Raumanzug mit dem eisernen Griff der Schwerkraft gegen seinen Körper preßte, als befände er sich wieder auf der Erde. Nicht einmal der größte Asteroid besaß eine so extreme Gravitation; konnte es möglich sein, daß er wieder zu Hause war? Ein anderes Raumschiff mochte ihn eventuell gefunden haben, bevor er starb, die Luft in seinem Anzug konnte ersetzt worden sein, aber … es war einfach unlogisch. Man hätte ihm doch vor der Landung seinen Raumanzug abgenommen. Oder – eine andere Möglichkeit fiel ihm ein; vielleicht lag er auf einem Gesteinshaufen im Frachtraum eines der herumziehenden Bergwerksschiffe, die im Asteroidengürtel nach Uranium suchten und –
„Nein, Crag“, sagte da eine Stimme in seinem Gehirn. „Du befindest dich in Sicherheit, bist aber weder auf der Erde noch in einem Schiff.“
Crag öffnete die Augen und blickte empor – in den Weltraum, blickte empor in die Finsternis, die nur von starr glitzernden Sternen und einer fernen Sonne erhellt wurde. Er richtete sich auf und sah um sich. Wieder befand er sich auf der Oberfläche eines Asteroiden, diesmal aber eines viel größeren. Soweit er von seiner sitzenden Haltung aus sehen konnte, maß er möglicherweise bis zu zwei Kilometern im Durchmesser, dennoch war er viel zu klein, um eine nur annähernd so hohe Schwerkraft wie die irdische zu besitzen.
„Es ist eine künstliche Gravitation, Crag“, verkündete wieder die gedankliche Stimme. „Etwa von der gleichen Stärke wie die der Erde. Würdest du eine geringere vorziehen – wie die Schwerkraft des vierten Planeten, den ihr Mars nennt?“
„Wer bist du?“ fragte Crag laut. Einen kurzen Augenblick fragte er sich, ob er wirklich tot war und ob dies alles einem verrückten Traum in einem späteren Leben entsprang; dann verwarf er diesen Gedanken. Das hier war Wirklichkeit, und er war nicht tot.
„Ich habe keinen Namen“, sagte die Stimme. „Ich bin der Asteroid, auf dem du zu sitzen glaubst. Und in gewissem Sinn bin ich auch ein Asteroid, nur stamme ich von einem anderen, weit entfernten Sonnensystem. Doch bin ich ein denkendes Wesen wie du.“
„Leben auf Siliziumbasis?“ fragte Crag. „Wieso aber hast du …?“
„Ist Siliziumleben seltsamer als jenes, das auf Karbon basiert? Doch zur Frage, weshalb ich dich rettete – das heißt, zurück ins Leben rief – bezeichne es als Neugierde, wenn du willst. Du bist das erste fremde Wesen, dem ich begegnete.“
„Dann – dann kamst du hier vorbei und fandest mich, nach all dem, was auf dem – dem anderen Asteroiden geschehen war?“
„Während es geschah. Aber es verwirrte mich nur, bis es vorüber war; ich wußte nicht, was vorging. Jetzt kenne ich allerdings jede Einzelheit des Geschehenen, und zwar aus deinen Gedanken und Erinnerungen, als du nach deiner Wiedererweckung schliefst. Du hast Mühe, all dies zu glauben, aber es ist wahr. Und du bist weder tot, noch träumst du.“ Es kam eine kurze Pause, dann hörte er wieder die Stimme: „Dieser Raumanzug schmerzt dich; du hast ihn zu lange anbehalten. Soll ich in einem Kraftfeld eine Atmosphäre errichten, damit du ihn für eine Weile abnehmen kannst?“
„Ich bin okay“, sagte Crag. Er versuchte aufzustehen, entdeckte jedoch, daß ihn eine Seite des Raumanzuges am Boden festhielt, nämlich diejenige Seite, wo sich die Tasche mit dem winzigen zusammengebrochenen Asteroiden befand. Er grinste und meinte: „Nur, daß ich nicht loskomme. Ich habe ein paar hundert Tonnen in meiner Tasche – bei dieser Schwerkraft. Könntest du mich losmachen?“
Es erfolgte keine Antwort, dafür fühlte er sich aber sehr leicht, beinahe völlig gewichtslos. Er nahm den orangenförmigen Klumpen Neutronium aus der Tasche und legte ihn nieder. Als er sich dann aufrichtete, kehrte die normale Schwerkraft zurück.
„Nicht schlecht“, bemerkte Crag. „Machst du das ohne Maschinen?“
„Ich habe nie von Maschinen gehört, Crag, bis ich aus deinen Gedanken von ihnen erfuhr. Doch nicht allein dies lernte ich kennen. Ich …“
„Verdammt“, sagte Crag wütend. „Verschwinde aus meinem Geist.“
Es folgte abrupte Stille – ein Gefühl des Rückzugs. Und nach einem Moment sprach die Stimme wieder; diesmal hörte er sie jedoch als Geräusch und nicht als Gedanken. „Es tut mir leid“, sagte sie. „Ich hätte wissen müssen, daß du es mir
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