Türkisgrüner Winter (German Edition)
ein. Er lief ein paar Schritte rückwärts, während sein Blick immer dunkler wurde. Flehentlich sah ich ihn an, doch er hatte seit meiner Ankunft kein einziges Mal mehr zu mir geschaut. Sein ganzer Körper stand unter Strom und noch bevor er es aussprach erkannte ich in seinen Augen, welchen Gedanken er hatte.
»Ich bringe ihn um«, sagte er.
»Elyas!«, reagierte Sebastian und stellte sich ihm in den Weg. »Mach bloß keinen Scheiß jetzt! Damit könntest du nicht das Geringste ändern.« Sophies Schluchzen wurde lauter.
»Das soll nichts ändern? Das sehe ich anders.« Elyas versuchte an Sebastian vorbeizukommen, der sich mit den Füßen in den Boden stemmte und ihn mit aller Kraft zurückhielt.
»Lass mich los, verdammte Scheiße!«, fluchte Elyas. In seinen Augen stand nichts als blanker Hass.
»Wir sind alle wütend auf ihn! Aber was du tun willst, ist einfach nur dumm!«, sagte Sebastian. »Elyas, bitte!«, kreischte Alex dazwischen und stemmte sich ebenfalls gegen ihn, doch Elyas ignorierte sie. Andy, der die von Heulkrämpfen geschüttelte Sophie auf einen Stuhl gesetzt hatte, schubste Elyas an seinen Schultern zurück. »Willst du in den Knast, du Idiot?«
»Scheiß drauf!«, entgegnete Elyas.
Yvonne und Tom waren wie ich vor Schock gelähmt und standen am Rand. Ich blickte zwischen allen hin und her und spürte, wie meine Augen feucht wurden.
»Das sagst du jetzt, weil du nicht mehr klar denken kannst!«, redete Sebastian auf Elyas ein und hielt ihn derb an den Armen fest. »Du würdest es dein Leben lang bereuen und das weißt du genauso gut wie ich! Bitte komm runter, Mann!« Elyas wollte sich von seinen Händen befreien und hatte alles andere vor als runter zu kommen.
»Elyas, wir werden ihn uns vorknöpfen. Das verspreche ich dir!«, sagte Sebastian. »Aber nicht so! Und nicht jetzt! In dieser Sekunde geht es einzig und allein um Jessica, den Rest regeln wir morgen, hörst du?«
Schnaubend vor Wut biss Elyas sich auf die Lippen, aber es hatte den Anschein, dass Sebastians Worte zumindest kurz zu ihm durchdringen konnten. Ich wusste, dass er auf mich genauso wenig hören würde, aber ich konnte nicht mehr länger machtlos mit zusehen. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und rannte auf ihn zu.
»Elyas, bitte, hör auf das, was Sebastian gesagt hat.« Meine Stimme zitterte. Er sah in meine Richtung, sodass ich seine Augen fixieren konnte.
»Bitte«, sagte ich. Doch schon im nächsten Moment wandte er den Blick wieder von mir ab. Sein Körper versteifte sich nach wie vor, in seinem Gesicht spiegelte sich der reinste Zorn, aber in seinen Augen hatte ich für die Dauer eines Wimpernschlags so etwas wie einen kleinen Zweifel erkannt.
»Was zum Teufel ist hier los?«
Ich zuckte zusammen und drehte den Kopf. Ein Pfleger kam schnellen Schrittes auf uns zugelaufen.
»Das ist ein Krankenhaus! Wenn hier nicht sofort Ruhe herrscht, dann rufe ich den Sicherheitsdienst und lasse euch alle rauswerfen!«
Während alle sich dem Pfleger zuwandten und beschwichtigend auf ihn einredeten, sah ich zurück zu Elyas. Ich nutzte sein kurzes Zögern, legte ihm die Hände auf die Brust und schob ihn mit aller Kraft ein paar Meter von den anderen weg. Elyas taumelte nach hinten und kam erst zum Stehen, als ich ihn gegen die Wand drückte. Entgeistert starrte er mich an.
»Elyas, bitte«, sagte ich und nahm seinen Kopf in die Hände. »So bist du doch gar nicht. Ich kann ja verstehen, dass dich die Situation irrational und wütend macht – aber dieser hasserfüllte junge Mann, der vor mir steht, das bist nicht du .«
Ich sah in seinen Augen, dass er meine Worte nicht einfach wegwischen konnte, auch wenn sich an seinem Verlangen, Domenic umzubringen, nichts änderte.
»Er hat es verdient«, sagte er. Seine Lippen bewegten sich kaum.
»Domenic ist ein Arschloch.« Ich schniefte. »Ein riesengroßes, da widerspreche ich dir nicht. Aber du bist kein Richter, du hast nicht zu entscheiden. Es gibt auf der Welt schon zu viele selbsternannte Richter und täglich sieht man in den Nachrichten, was daraus resultiert.« Für einen Moment schloss ich die Lider und atmete tief durch. »Die Welt läuft falsch, Elyas. Man kann kein Leben zurückbringen, indem man ein anderes beendet oder schädigt. Es ist ein ewiger Kreislauf, der niemals aufhört, wenn man es nicht schafft, sich über diese primitiven Urinstinkte zu stellen.« Ich verstärkte den Griff um sein Gesicht, damit er den Blick nicht von mir abwenden konnte.
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