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Türkisgrüner Winter (German Edition)

Türkisgrüner Winter (German Edition)

Titel: Türkisgrüner Winter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bartsch
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mich in dir getäuscht hatte.« Elyas fuhr mit den Fingern seinen Unterarm entlang. »Dieser Tag war die reinste Hölle für mich. Am liebsten wäre ich sofort nach Hause gegangen. Aber diesen Gefallen wollte ich dir nicht tun. Wie paranoid lief ich durch die Schule, immer nur darauf bedacht, dir nicht über den Weg zu laufen. Als du dann in der zweiten Pause plötzlich hinter mir standest …« Elyas schnaubte. »Ich hatte schon an Kevins Blick gesehen, wer hinter mir stand. Und in diesem Moment … Ich … ich wollte einfach nur noch in meinem Leben retten, was noch zu retten war.« In seinen Augen konnte ich die Verzweiflung lesen – nicht die von heute, sondern die von längst vergangener Zeit.
    »Als ich mich zu dir umdrehte und du vor mir standest, was hätte ich tun sollen?«, fragte er. »Zulassen, dass du mich noch mehr vor meinen Freunden demütigst und mir öffentlich den Laufpass gibst?« Elyas wartete nicht auf eine Antwort. »Den einzigen Ausweg, den ich in diesem Moment noch sah, war zurückzuschlagen. Und das habe ich auch getan. Nun weiß ich, was für ein riesengroßer Fehler das war. Es tut mir leid, Emely.«
    Er hätte den letzten Satz nicht aussprechen müssen, denn nichts anderes stand in seinem Gesicht geschrieben. Je länger ich über seine Erklärung nachdachte, desto mehr konnte ich sein Handeln sogar irgendwie verstehen. Elyas war damals kein Mann gewesen, sondern ein verletzter und pubertierender Junge. Er hatte nur versucht, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
    »Es braucht dir nicht mehr leid zu tun, Elyas«, sagte ich. »Die Zeit damals war hart, und wie ich jetzt weiß, war sie das nicht weniger für dich. Alles beruhte auf einem Missverständnis. Hätte es das Missverständnis nicht gegeben, hättest du mir nicht wehgetan.«
    »Du verzeihst mir?«, fragte er.
    »Ja, das tue ich. Lass uns das endlich abhaken. Das steht schon viel zu lange zwischen uns.«
    Die Worte waren einfach so über meine Lippen gegangen und in meinem tiefsten Inneren spürte ich, dass es tatsächlich stimmte. Ich hatte ihm verziehen. Die Vergangenheit war Geschichte und für die Dauer eines Augenblicks fühlte ich mich viel leichter.
    Das Gefühl verließ mich jedoch nach einer Weile. Mir wurde bewusst, dass es noch etwas zu verzeihen gab: Die jüngste Vergangenheit. Alles, was Elyas erzählt hatte, erklärte nicht, warum er mir die Mails geschrieben hatte.
    Tausend Fragen schwirrten mir durch den Kopf, die ich ihm am liebsten sofort gestellt hätte. Aber ich hielt sie zurück. Es musste einen Grund geben, warum Elyas diese alte Geschichte aufrollte, auch wenn ich mir diesen momentan noch nicht erklären konnte.
    In meinen Augen warst du immer so perfekt gewesen. Dieser Satz hallte mir wie ein nicht enden wollendes Echo durch den Kopf. Hatte Elyas das tatsächlich so empfunden? Ausgerechnet bei mir? Ich war meilenweit entfernt von perfekt. So weit wie jeder Mensch. Aber vielleicht war ich es auf dieselbe Weise für ihn, wie er es, mit all seinen Fehlern, für mich war?
    »Soll ich weiter erzählen?«, fragte Elyas.
    »Bitte«, gab ich zur Antwort und zog die Decke etwas fester um die Beine.
    »Ich hätte dich so gerne für all das gehasst, aber ich konnte es nicht. Die ersten Wochen war ich nur am Boden zerstört und traurig.« Elyas‘ Blick verlor sich in der Sonnenblume auf dem Nachtschrank. »Einen Monat nach dem Vorfall auf dem Pausenhof überredete mich Kevin, mit ihm und den Jungs in einen Club zu gehen. Ich ließ mich volllaufen. Bis obenhin. Wenigstens für einen Abend wollte ich alles vergessen.
    Das habe ich auch geschafft. Ich trank bis zum Filmriss. Und am nächsten Tag wachte ich auf einmal neben einer nackten Frau auf. Sie war älter als ich, vielleicht Mitte zwanzig. Ich konnte mich weder an ihren Namen noch an mein erstes Mal erinnern.
    An diesem Morgen habe ich mir geschworen, nie wieder in meinem Leben so viel Alkohol zu trinken. Und seit diesem Morgen habe ich dich gehasst.«
    Ich versteifte mich und brachte kein Wort hervor.
    »Ich gab dir an allem die Schuld«, sagte er. »Machte dich dafür verantwortlich, dass du mich zu einem erbärmlichen kleinen Waschlappen gemacht hattest – denn nichts anderes war ich zu dieser Zeit.« Elyas sah mich vorsichtig an.
    Auch wenn der Hass, von dem er sprach, inzwischen verraucht war, setzte mir dennoch die Gewissheit zu, dass er mal existiert hatte. Wie es wohl sein musste, nackt neben jemand Fremdem aufzuwachen und nicht die leiseste Erinnerung zu

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