Türkisgrüner Winter (German Edition)
tun haben zu müssen, aus irgendeinem Grund absolut nicht gut. Ich sagte mir immer wieder, dass es verdammt noch mal sieben Jahre zurücklag und Gras darüber gewachsen war. So ging es dann auch einigermaßen.« Elyas rutschte ein bisschen nach hinten, verlagerte seine Sitzposition und sprach weiter.
»Als dann alles soweit war und Alex mit meinen Eltern und Unmengen an Kartons vor der Tür stand, wusste ich bereits, dass du ebenfalls kommst. Keine angenehme Vorstellung, dennoch versuchte ich darüber zu stehen. Du würdest es nicht schaffen, mich wieder aus dem Konzept zu bringen, dessen war ich mir sicher.«
»Tja«, machte er langgezogen, »und dann standest du plötzlich in der Tür zu Alex‘ Zimmer.« Ein humorloses Lächeln umspielte seine Lippen. »Es war seltsam, dir nach all den Jahren ins Gesicht zu blicken. Ich dachte, ich wäre darauf vorbereitet, aber ich habe mich getäuscht. Die Begegnung traf mich hart.«
»Du hattest dich verändert«, sagte er. »All deine kindlichen Züge waren verschwunden und vor mir stand eine wunderschöne junge Frau. Nicht klassisch hübsch, nicht Modezeitschriften-hübsch, sondern Emely-hübsch.«
Meine Wangen erwärmten sich und die Worte legten sich wie eine weiche Decke über mich.
»Das Einzige, was mich wieder zu Sinnen brachte, war dein arroganter Blick«, fuhr er fort. »Ich konnte nicht glauben, wie hochnäsig du mich angesehen hast. Du warst der letzte Mensch auf der Welt, der ein Recht dazu hatte. Zu dem Zeitpunkt wusste ich ja noch nichts von dem Missverständnis.«
Ich räusperte mich. »Du hättest mal deinen Blick sehen sollen. Der war auch nicht besser. Du sahst mich an, als würde ich vor deinen Augen in der Mülltonne nach etwas Essbarem suchen.«
»Bitte?«, fragte Elyas. »Das kann ich mir nicht vorstellen.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und nickte. Was ich dafür bekam, war ein einseitiges Lächeln und ein intensiver und liebevoller Blick in die Augen. Mein Herz stolperte.
»Dann haben wir uns wohl beide gleichermaßen arrogant angesehen«, sagte er leise.
»Und wir hatten beide Gründe dafür.« Ich schaute auf meine Hände. »Was du erzählt hast, mit dem komischen Gefühl im Bauch, obwohl du über mich hinweg warst … Mir ging es genauso.«
Für einen kurzen Moment wurde es still zwischen uns.
»Wow«, sagte Elyas schließlich. »Ich hätte zwar nicht gedacht, dass es möglich wäre, aber jetzt hasse ich mich noch mehr.«
Sebastian hatte mir von Elyas‘ Selbsthass erzählt. Und auch wenn ich schon vorher gewusst hatte, was damit gemeint war, konnte ich es in dieser Sekunde selbst miterleben. Es war kein schöner Anblick, jemanden, den man gern hatte, so zu sehen. Und gleichzeitig wirkte Elyas‘ Bild wie ein Blick in den Spiegel. Ich wurde mit meinem eigenen Verhalten der letzten Monate konfrontiert.
Selbsthass …
Das war so ein schweres Wort. Ich wusste, wie es sich anfühlte.
Ob das Gegenteil von Selbsthass Nächstenliebe war?
Ich dachte darüber nach, bis ich bemerkte, dass für solche Gedanken jetzt keine Zeit war.
Viel wichtiger waren die Gemeinsamkeiten von Elyas und mir, die ich nie im Leben für möglich gehalten hätte. Wir waren zwei gebrandmarkte Menschen, die ihre Erfahrungen zwar unterschiedlich kompensierten, aber die sich im Grundkern gar nicht so sehr unterschieden.
War es das, was uns verband? Eine Seelenverwandtschaft, die wir niemals voreinander aufgedeckt, aber immer gespürt hatten? Ein Gefühl zu wissen, dass der andere zu einem gehörte, auch wenn man es eigentlich gar nicht wissen konnte?
Ich hatte keine Ahnung. Doch was auch immer es war, ich war machtlos dagegen.
»Elyas, sag so etwas nicht. Erzähl einfach weiter, in Ordnung?«
»Entschuldige«, entgegnete er. »Natürlich. Wo war ich stehen geblieben?«
»Bei Alex‘ Umzug, als wir uns wiederbegegnet sind.«
Er nickte, besann sich zurück auf das Thema und fuhr mit kratziger Stimme fort.
»Der Abend mit dir und meiner Familie wurde netter als gedacht – auch wenn ich das natürlich nicht zugegeben hätte. Als ich in derselben Nacht im Bett lag, ließ ich mir das Treffen mit dir noch einmal durch den Kopf gehen und fand mein Verhalten im Nachhinein doch recht kindisch. Deine Vorlage mit den kleinen Brüsten war nahezu perfekt gewesen, aber eigentlich hätte ich das nicht nötig gehabt. Für die Zukunft nahm ich mir vor, dich ›normal‹ zu behandeln.
Die ersten Tage klappte das wie am Schnürchen. Es fiel mir sogar leichter als
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