Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Türkisgrüner Winter (German Edition)

Türkisgrüner Winter (German Edition)

Titel: Türkisgrüner Winter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bartsch
Vom Netzwerk:
Handbewegungen und sah kein einziges Mal auf.
    »Emely«, sagte Ingo und klopfte auf den freien Platz neben sich. »Setz dich zu mir, meine Liebe.« Um ja nicht zu stolpern, stieg ich mit äußerster Vorsicht über die Beine der anderen und ließ mich an seiner Seite nieder. Kaum saß ich, hielt mir Alena einen Becher mit Glühwein entgegen. Ich nahm ihn mit beiden Händen und versuchte ihn durch leichtes Pusten ein bisschen abzukühlen. »Danke«, sagte ich. Der Geruch von Zimt, Orangen, Nelken und die leichte Note von erhitztem Alkohol drangen mir in die Nase.
    Ich rutschte ein bisschen, damit mein Vater noch zu uns aufs Sofa passen würde. Auf dem anderen saßen Alena, meine Mutter, Alex und Sebastian.
    Weiter hinten im Raum, auf einem Podest, stand der große schwarze Flügel. Elyas hatte sein Talent nicht von ungefähr, auch seine Mutter war eine begnadete Klavierspielerin. Direkt daneben war der Christbaum aufgestellt. Eine hoch und breit gewachsene Tanne, mit elfenbein- und apricotfarbenen Kugeln geschmückt.
    Es sah nicht schlecht aus – ganz und gar nicht –, aber der Sinn dahinter wollte sich mir wie jedes Jahr nicht erschließen: Man fällt einen Baum, um ihn anschließend ins Wohnzimmer zu stellen und mit komischem Glasschmuck zu behängen? Ziemlich seltsam, wenn man mal darüber nachdachte – aber bitte.
    Warum ich den Baum trotzdem so lange ansah, lag daran, dass ich nicht wusste, wo ich sonst hinsehen sollte. Elyas hätte keinen blöderen Platz wählen können. Egal in welche Richtung ich blickte, der Sessel stand so zentral, dass er immer in meinem Augenwinkel auftauchte. In diesen Momenten wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass Scheuklappen unter meinen Geschenken wären.
    Draußen, vor den großen Wohnzimmerfenstern, trieb der Schnee immer noch sein Unwesen und ließ mich die Wärme im Raum und das Knacken des Feuerholzes noch bewusster wahrnehmen.
    Sebastian, der sein »verschollenes« Handy offenbar wiedergefunden hatte, ließ den Blick mehr als einmal zwischen Elyas und mir schweifen. Was hatte er sich nur dabei gedacht, mich mit seinem besten Freund allein zu lassen? Dass wir uns kurz ausgesprochen hätten, uns in die Arme gefallen wären und danach mit einem Glas Sekt auf eine bevorstehende Freundschaft angestoßen hätten?
    So naiv konnte er doch nicht sein.
    »Und, Emely?,« fragte Ingo. »Was hast du die ganze Zeit in Neustadt gemacht?«
    Ich blickte mich um, alle Augen waren auf mich gerichtet. »Das Übliche«, sagte ich und zuckte mit den Schultern. »Nichts Besonderes. Was will man in Neustadt auch groß machen?«
    »Gibt es denn einen bestimmten Grund, warum dein Urlaub dieses Mal so lange ausfällt? Oder hattest du einfach nur Heimweh?«, fragte er weiter.
    Das war der berühmte Moment, in dem man sich am liebsten unsichtbar gemacht hätte. Der Grund saß ihm direkt gegenüber, war niemand geringeres als sein eigener Sohn und gleichzeitig der beste Beweis, dass die »Ich-zieh-ihn-vorher-raus-Nummer« nicht sonderlich gut funktionierte.
    »Heimweh«, sagte ich und rang mir ein Lächeln ab. »Außerdem verbringt Eva, meine Zimmernachbarin, ihre gesamten Ferien in Berlin. Mehrere Wochen zu zweit auf fünfzehn Quadratmetern eingepfercht wäre nicht gut gegangen.«
    »Verstehe«, sagte Ingo.
    »Und nicht zu vergessen«, mischte sich Karsten ein, »wollte sie unbedingt mal wieder mit ihrem alten Vater angeln gehen.«
    Ich hoffte, Karsten konnte mir die Dankbarkeit für den Themenwechsel im Gesicht ablesen.
    »Angeln?«, erkundigte sich Ingo.
    »Ja, ganz recht. Und bitte erinnere mich daran, dass ich meine Tochter nie wieder mitnehme.«
    Ich grinste in mich hinein.
    »Warum? Hat sie dich ins Wasser geworfen?«, fragte Alena.
    »Nein, das nicht«, sagte er. »Viel schlimmer! Sie hat mir alle Fische vertrieben. Kaum hat sich einer unserem Boot genähert, musste sie rein zufällig niesen oder husten. Könnt ihr euch diese Zufälle erklären?«
    Ein Schmunzeln erhellte die Gesichter.
    »Als sich dann doch mal ein einzelner an den Haken verirrt hat, musste ich mir einen Vortrag darüber anhören, dass Fische doch eigentlich auch nur leben wollen. Sie redete mir so ein schlechtes Gewissen ein, dass ich den Fisch tatsächlich wieder ins Wasser geworfen habe.«
    »Aber das ist noch nicht mal alles!«, fuhr er fort. »Eine geschlagene Stunde durfte ich mir anhören, was wir Menschen dem Meer und den Tieren, die darin leben, mit der Überfischung antun. Wollt ihr wissen, was sie gesagt hat?

Weitere Kostenlose Bücher