Türkisgrüner Winter (German Edition)
Kuh, die auf diesem Planeten herumlief. Mit einem Schnauben stieß ich mich von der Tür ab und lief zum Waschbecken, stützte mich dort mit beiden Armen ab und sah in den Spiegel. Mein Gesicht war bleich wie Kreide und meine Haut glänzte verschwitzt. Ich senkte den Kopf und machte den Wasserhahn an. Erst als das Wasser so kalt kam, dass meine Finger sich rötlich verfärbten, hielt ich meine zu einer Schale geformten Hände darunter und tauchte das Gesicht hinein. Immer wieder.
Die Kälte tat gut, klärte meine Gedanken und ließ mich langsam wieder zu mir kommen. Als ich das Gesicht ein weiteres Mal in den Händen verbarg, hätte ich am liebsten losgeheult. Doch ich schniefte und biss die Zähne zusammen. Ich würde nicht heulen. Nicht hier und nicht jetzt. Aber eine Sache war klar: Es reichte. Ein für alle Mal. Keine weitere Sekunde würde ich in diesem Haus, in seiner Anwesenheit aushalten.
Ich blickte zur Baduhr. 23:38 Uhr. An solchen Feiertagen blieben wir sonst gut und gern bis spät in die Nacht bei den Schwarz‘, doch dieses Mal würden wir das eben nicht tun. Mein Vater hatte es mir versprochen. Nur meine Mutter musste noch überzeugt werden. Und falls das nicht gelingen sollte, würde ich eben nach Hause laufen. Eine andere Alternative gab es nicht mehr für mich.
Ich schaltete den Wasserhahn aus, trocknete Gesicht und Hände ab und schritt auf die Tür zu. Mit den Fingern umschloss ich die Klinke, so fest, dass meine Knöchel weiß hervortraten. Ich blickte auf den gefliesten Boden und sog Luft ein. Du schaffst das. Du musst ihn nur noch einmal sehen – dann hast du es geschafft. Ein letztes Mal. Ich blies die angestaute Luft wieder aus, drückte den Türgriff hinunter und verließ mit geballten Fäusten das Badezimmer. Den Blick gesenkt und mir immer wieder » Du schaffst das « sagend, steuerte ich durch den abgedunkelten Flur. Nach einigen Schritten prallte ich auf einmal gegen etwas Hartes. Ich taumelte zurück. Verflucht, hatte hier jemand eine Mauer hochgezogen? Eine Mauer, die nachgab?
Ich blinzelte und sah eine große, männliche Silhouette in der Dunkelheit stehen. Der dezente Geruch, der von der Person ausging, hatte eine frische, herbe und süßliche Note … Es gab nur einen Menschen, der so roch. Auf einmal spürte ich die Stellen, an denen ich mit ihm zusammengeprallt war, viel deutlicher. Mein Puls stieg an.
»Entschuldigung, ich … ich wollte noch ausweichen«, flüsterte Elyas. »Aber du kamst so unverhofft. Alles okay?«
Mein Hals wurde trocken und kein einziges Wort wollte mir über die Lippen gehen. Ich blickte über meine Schulter. Hinter mir lag der finstere Gang. Elyas versperrte den einzigen Ausweg in Richtung Treppe. Irgendwie musste ich sie erreichen. Ich machte einen Schritt nach links, wollte mich nah an der Wand an ihm vorbei schieben, doch Elyas folgte meiner Bewegung und verhinderte ein Durchkommen. Ich zuckte zurück.
»Warte, Emely, bitte.«
Worauf? Dass ich einen verdammten Herzinfarkt bekam? Ich schnaubte, versuchte es auf der anderen Seite und wäre um ein Haar in Elyas‘ ausgestreckten Arm gelaufen. Wieder wich ich zurück. Immer mehr Panik stieg in mir auf. Ich fühlte mich wie eine Maus, die von einer Schlange in die Ecke gedrängt wurde. Er versperrte mir jegliche Fluchtmöglichkeit.
»Mann, Emely«, sagte er. »Bitte mach doch irgendetwas! Beschimpf mich, schlag mich oder schrei mich an! Aber bitte hör auf mich so zu behandeln, als wäre ich Luft.«
Was redete er für wirres Zeug? Ich behandelte ihn wie Luft? Er tat doch genau dasselbe! Was erwartete er denn? Dass wir nach all den Vorkommnissen weiterhin nett miteinander plaudern würden? War er verrückt?
»Lass mich durch!«, sagte ich mit zittriger Stimme.
»Emely«, sagte er verzweifelt. »Du klingst, als hättest du Angst vor mir. Denkst du, ich tue dir irgendetwas?«
Natürlich würde er mir nichts tun. Zumindest nicht körperlich.
»Was willst du denn von mir?«, fragte ich und trat einen weiteren Schritt nach hinten.
Er sah zu seinen Füßen und es dauerte einen Moment, ehe er antwortete.
»Du hast dein Weihnachtsgeschenk noch nicht von mir bekommen.«
Weihnachtsgeschenk ? Was zur Hölle ging in seinem Kopf vor? Er wollte mir etwas schenken? Ja, er war verrückt geworden. Eindeutig war er verrückt geworden.
Elyas griff in seine Hosentasche, um von dort etwas herauszuholen, als ich ihn mit meinen Worten unterbrach.
»Drehst du jetzt vollends durch?«, fragte ich. »Wie in aller
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