Tunnel - 02 - Abgrund
dieser sich zu ihm an der Eingangstür gesellte. Vorsichtig öffnete Will die Tür einen winzigen Spalt. Gemeinsam leuchteten sie mit ihren gebündelten Lichtstrahlen über die trostlosen Konturen der niedrigen Hütten, während sie darauf warteten, dass Cal zu ihnen stieß. Nach seinem Gefühlsausbruch wegen Wills Vater war er sehr missmutig und verschlossen gewesen, und Will und Chester hatten ihn weitestgehend sich selbst überlassen.
»Irgendwie hab ich ein … ein mulmiges Gefühl«, sagte Will. »Diese vielen kleinen Hütten da draußen und der Gedanke, dass Styx die Koprolithen darin wie Sklaven gehalten haben. Ich wette, sie haben sie ziemlich mies behandelt.«
»Die Styx sind der schlimmste Abschaum, den ich kenne«, sagte Chester. Dann zog er scharf die Luft ein und schüttelte den Kopf. »Nein, mir gefällt es hier auch nicht, Will. Irgendetwas ist hier seltsam …«, grübelte er.
»Aber was?«
»Na ja, zum Beispiel die Tatsache, dass das Haus so viele Jahre leer gestanden hat, vielleicht sogar Jahrhunderte … bis dein Dad hier eingebrochen ist. Verriegelt und verrammelt, als hätte niemand es gewagt, auch nur einen Fuß hineinzusetzen.«
»Ja, stimmt«, pflichtete Will ihm nachdenklich bei.
»Glaubst du, die Leute meiden diese Gegend, weil es hier so furchtbar war?«, fragte Chester.
»Na ja, die Fledermäuse sind zwar definitiv Fleischfresser – ich hab gesehen, wie sie sich auf ein verletztes Tier gestürzt haben –, aber ich glaube nicht, dass sie eine allzu große Gefahr darstellen«, erwiderte Will.
»Wie bitte?«, meinte Chester besorgt und erbleichte. »Falls du es vergessen haben solltest: Wir bestehen aus Fleisch!«
»Ja, schon, aber ich denke, sie interessieren sich mehr für die Insekten«, erklärte Will. »Oder für Tiere, die sich nicht wehren können.« Er schüttelte den Kopf. »Aber du hast recht: Ich habe auch das Gefühl, dass nicht die Fledermäuse allein die Leute von diesem Ort ferngehalten haben.«
Während Will und Chester sich unterhielten, war Cal missmutig durch den Staub gestapft, hatte seinen Rucksack auf den Boden geworfen und sich daraufgesetzt.
»Richtig: die Fledermäuse«, mischte er sich nun beleidigt ein. »Wie sollen wir an denen vorbeikommen?«
»Im Moment ist von ihnen nichts zu sehen«, sagte Will.
»Na wunderbar«, höhnte Cal. »Mit anderen Worten: Du hast überhaupt keinen Plan.«
Will weigerte sich, sich über die Kritik seines Bruders aufzuregen, und erwiderte mit ruhiger Stimme: »Also gut, dieses Mal dämpfen wir das Licht und machen keinerlei Geräusche. Und das bedeutet auch: keine Rufe! Hast du das verstanden, Cal? Als Vorsichtsmaßnahme halte ich ein paar Feuerwerkskörper bereit, für den Fall, dass die Fledermäuse wieder auftauchen. Das müsste die blöden Biester in die Flucht schlagen.« Will öffnete eine der Seitentaschen seines Rucksacks, in der noch eine Handvoll römische Lichter lagen, die von ihrem letzten Aufenthalt in der Ewigen Stadt übrig geblieben waren.
»Das ist alles? Das ist dein Plan?«, fragte Cal herausfordernd.
»Ja«, sagte Will und versuchte noch immer, die Ruhe zu bewahren.
»Wow, echt idiotensicher!«, schnaubte Cal.
Will warf ihm einen vernichtenden Blick zu und zog die Eingangstür vorsichtig weiter auf.
Cal und Chester schlichen sich hinaus, gefolgt von Will, der die Nachhut bildete. In der linken Hand hielt er zwei Feuerwerkskörper und in der rechten sein Feuerzeug. Hin und wieder hörten sie die schrillen Schreie der Fledermäuse, doch aus so großer Entfernung, dass kein Grund zur Beunruhigung bestand. Die Jungen eilten lautlos und schnell vorwärts und nutzen nur ein Minimum an Licht, das ihnen den Weg wies. Die winzigen Krabbel- und Spinnentiere, die um ihre Füße herumwuselten, stellten ihre Nerven auf eine harte Belastungsprobe, und ihre Fantasie drohte immer wieder mit ihnen durchzugehen, doch sie rissen sich zusammen.
Als sie das Stadttor schon eine Weile hinter sich gelassen hatten und eine beträchtliche Strecke durch den Haupttunnel gegangen waren, blieb Cal plötzlich stehen und zeigte auf einen Seitentunnel. Wie üblich war er wieder vorneweg gelaufen und deutete nun stumm in den Tunnel.
»Will uns der Knirps vielleicht irgendetwas sagen?«, wandte Chester sich an Will, während sie sich dem missmutigen Jungen näherten und Will sich schließlich vor Cal aufbaute, nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt.
»Herrgott noch mal, Cal, werd endlich erwachsen! Wir sitzen
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