Twin Souls - Die Verbotene: Band 1
hin zu Konjunkturflauten.
Es war eine dämliche Vorstellung. Wenn die Hybriden unter uns tatsächlich so mächtig gewesen wären, hätten Menschen wie Addie und ich nicht in solch großer Angst leben müssen.
Die Fernsehkameras verfolgten den Mann und die Polizisten, die ihn flankierten, bis sie in die Polizeiautos stiegen. Sah er wie jemand aus, der das Museum verwüsten würde? Vielleicht. Er war ungefähr vierzig, mit braunen Haaren und einem kurzen Bart und kräftig wirkenden Händen. In manchen Einstellungen erinnerte er mich an unseren Onkel, Moms Bruder. Denjenigen, der nicht mehr mit ihr redete, seit unsere Eltern die Behörden gebeten hatten, Addie und mir mehr Zeit zu geben anstatt uns wegzuschicken, wie es ehrenhaft gewesen wäre. Wie es von ihnen erwartet worden war. Wie es richtig gewesen wäre. Denjenigen, den Mom niemals mehr erwähnte und von dem ihr gegenüber niemand mehr sprach.
An jenem Abend sahen unseren Eltern uns nicht in die Augen. Wir gingen alle früh ins Bett, auch wenn dem Licht nach zu urteilen, das unter den verschlossenen Zimmertüren hindurchschimmerte, keiner von uns schlief.
Addie sagte nur eins, sobald sie sich unter der Decke zusammengerollt hatte. ‹Eva … Eva, wir müssen damit aufhören. Wir können nicht einfach so weitermachen. Wenn wir erwischt werden …›
Ich erwiderte nichts. Konnte ich mit dem Unterricht aufhören? Konnte ich auf ihn verzichten, jetzt da ich wusste, dass ich eines Tages vielleicht wieder würde laufen können? Konnte ich darauf verzichten, Ryan zuzuhören, wie er mir von seinen Erfindungen erzählte? Wie er mir Geschichten aus seiner Vergangenheit erzählte?
Konnte ich auf die Chance verzichten, eines Tages auch meine Geschichten zu erzählen?
‹Ich werde es Hally morgen sagen›, meinte Addie. ‹Wir müssen damit aufhören, Eva.›
Aber am nächsten Tag waren Hally und Lissa nicht in der Schule.
Kapitel 10
Unser Geschichtskurs kam uns merkwürdig leer ohne Hally vor, obwohl alle anderen doppelt so viel Raum wie sonst einzunehmen schienen, weil sie wegen der Razzia vom Vortag noch immer völlig aus dem Häuschen waren. Addie erzählte keinem, dass wir dort gewesen waren, und wir verschmolzen mit dem Hintergrund.
‹Ihr ist etwas zugestoßen›, sagte ich.
‹Werd’ nicht gleich melodramatisch›, sagte Addie. ‹Hast du irgendwas davon gehört, dass sie ein Mädchen mitgenommen hätten? Hast du sie im Fernsehen gesehen? Sie ist wahrscheinlich nur krank. Oder sie ist zu Hause geblieben, wie …›
Wie wir uns gerade wünschten, wir hätten es getan.
‹Was, wenn sie verletzt worden ist?›, sagte ich. ‹Was, wenn sie … zertrampelt wurde oder so?›
Addie zuckte zusammen. ‹Mensch, Eva, du bist so morbide. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit?›
Aber ihre Unruhe mischte sich mit meiner, und ich ertappte sie dabei, wie sie zwischen den Unterrichtsstunden die Menge auf dem Gang absuchte, als hielte sie Aussschau nach Devon. Er würde es wissen. Aber wir waren ihm bisher so gut wie nie auf den Fluren über den Weg gelaufen und der heutige Tag bildete da keine Ausnahme.
Wir gingen allein nach Hause. Addies alte Freunde hatten schon lange aufgegeben, sie zu fragen, ob sie mit ihnen kam, und niemand hatte auf uns gewartet.
Wir schliefen in dieser Nacht ein bisschen besser, hauptsächlich aus purer Erschöpfung, aber wir träumten von blinkenden rot-blauen Lichtern und heulenden Sirenen.
Auch am nächsten Tag war Hally nicht in der Schule.
‹Vielleicht sollten wir bei ihr vorbeischauen›, sagte ich auf dem Heimweg.
‹Sie ist krank›, sagte Addie, aber sie konnte das Zittern in ihrer Stimme nicht verbergen. Nicht vor mir. ‹Niemand möchte Besuch haben, wenn er krank ist.›
Und sie gab nicht nach, egal wie sehr ich mit ihr diskutierte.
Als am Donnerstag der Geschichtsunterricht begann, war Hallys Platz einmal mehr verwaist.
‹Wir gehen zu ihr. Noch heute›, sagte ich.
Aber Dad brauchte an diesem Nachmittag jemanden, der ihm im Laden half, während er Besorgungen machte, und er holte uns deswegen von der Schule ab. Als er wiederkam, bat er uns, die Konserven aufzufüllen. Das führte dazu, dass wir uns mit dem Kassenbuch hinsetzten und die Verkäufe der vergangenen Woche verbuchten.
Die Sonne ging schon beinah unter, als wir endlich fertig waren. Dad setzte uns zu Hause ab, gab uns einen Kuss auf die Stirn und versprach uns, zurück zu sein, ehe wir ins Bett gingen. Vielleicht, so sagte er lächelnd, würden er und Mom
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