Twist again: Die Spellmans schlagen zurück (Familie Spellman ermittelt) (German Edition)
draußen. Vom Bürgersteig aus hielt ich nach etwaigen Spannern Ausschau und schlenderte dann zu Davids Haustür.
»Isabel!«, rief David mehr entsetzt als erfreut. Für mein Empfinden musterte er mich entschieden zu lang. »Wie bist du denn angezogen?«
Erst da fiel mir auf, dass ich in der Eile die Pyjamajacke anbehalten hatte. »Hab kein sauberes Hemd gefunden«, stammelte ich.
»Was ist mit dir los?«
»Ich habe zu Hause keinen Kaffee mehr, und da ich eh in der Gegend war, dachte ich, du gibst mir bestimmt eine Tasse ab. Bitte.«
David gab die Tür frei und ließ mich tatsächlich über seine geheiligte Schwelle treten. Ich folgte ihm in die Küche, wo die aktuelle New York Times auf dem Tisch ausgebreitet lag.
»Bedien dich«, sagte David fast freundlich und fuhr dann fort: »Warum bist du nicht einfach in einen Coffeeshop gegangen? Es gibt doch eine Menge in deiner Nähe.«
»Ich weiß«, antwortete ich. Und dachte: Keiner ist mir so nah wie du.
Eine ganze Weile stand ich unschlüssig vor Davids Kaffeekanne. Etwas fehlte, das wusste ich genau, aber was?
»Du brauchst noch eine Tasse«, sagte mein Bruder.
»Stimmt«, sagte ich, ohne mich von der Stelle zu rühren.
David stand auf und holte mir eine aus dem Küchenschrank. Den Kaffee schenkte ich mir selbst ein, wenn auch mit zitternder Hand. Er ließ mich nicht aus den Augen, wischte auf, was ich verschüttet hatte, und stellte die Kanne wieder auf die Heizplatte.
»Geht’s dir nicht gut?«, fragte David.
»Es ging mir schon mal besser«, antwortete ich. Das war sogar die Wahrheit, wenn ich es recht bedachte: Ich litt an Schlaflosigkeit, hatte meinen Job verloren, wohnte heimlich im Keller, war zu einer zweiten Therapie verdonnert worden und mühte mich ab, um einen einzigen armseligen kleinen Fall zu lösen und mir damit zu beweisen, dass ich wenigstens eine Sache ordentlich zu Ende bringen konnte. Ja, es war mir tatsächlich schon mal bessergegangen.
Ich setzte mich an den Küchentisch und gab vor, Zeitung zu lesen, während ich den Kaffee einnahm wie Medizin. Ich schenkte mir gleich die nächste Tasse ein, dann setzte David für mich eine neue Kanne auf. Ich warf einen Blick auf die Uhr: 8.45 Uhr.
»Musst du nicht zur Arbeit?«, fragte ich.
»Ich habe mir den Tag freigenommen«, erklärte er.
Der Kaffee zeigte allmählich Wirkung, mein Hirn arbeitete bereits zu vierzig Prozent, und ich bemerkte, dass David deutlich gesünder aussah als bei seiner Rückkehr. Ich wusste aber immer noch nicht, wo er gewesen war und warum er darüber jede Auskunft verweigerte. Schon wieder so ein Geheimnis, das ich dringend lüften wollte.
»Warum erzählst du uns, dass du nach Europa gereist bist, obwohl du wahrscheinlich nur in der Gegend zelten warst?«, fragte ich. »Leugnen ist zwecklos, ich habe gesehen, dass Teile deiner Campingausrüstung fehlten.«
»Ich wollte mir bloß dumme Kommentare ersparen«, antwortete David.
Das konnte ich sogar verstehen. Was mich aber nicht davon abhielt, die Befragung fortzusetzen.
»Wir sollten also nicht wissen, wo du wirklich steckst? Deshalb hast du uns was von Europa vorgelogen?«, fragte ich.
»Das ist in etwa die Kurzfassung.«
»Verrätst du mir ein bisschen mehr, wenn ich dir verspreche, das Thema danach nie wieder anzuschneiden?«
»Unter einer Bedingung«, antwortete David.
»Und die wäre?«
»Du sagst mir, an welchen Flaschen du dich vergriffen hast, damit ich nicht jede einzeln durchprobieren muss.«
»Abgemacht«, sagte ich.
David nahm sich gut zehn Minuten Zeit, mir frank und frei zu erzählen, was seit seiner Scheidung in ihm vorgegangen war (so was hat bei allen
Spellman-Kindern Seltenheitswert). Seine Arbeit war nicht mehr sinnstiftend, sein Privatleben war eine Wüste, er hatte zu nichts mehr Lust und machte eine Art
vorgezogener Midlife-Crisis durch, die er »existentielle Krise« 62 nannte. Irgendwann hatte er in einer Zeitschrift geblättert, die im Büro seines Buchhalters herumlag, und war dabei auf eine Anzeige für »lebensverändernde« Wildnistouren gestoßen. Er riss die Seite heraus und sah sich abends die Internetseite des Veranstalters an.
Das Angebot umfasste eine dreiwöchige Exkursion in unberührter Natur, was mein Bruder gleichermaßen anziehend wie abschreckend fand. In den ersten fünf Tagen sollte man lernen, in freier Wildbahn zu überleben. Danach wurde man per Hubschrauber irgendwo in der Pampa abgesetzt (in unserem Fall im Yosemite-Nationalpark) und musste sich
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