Über den Fluß und in die Wälder
dagewesen war. Irgend etwas ging in ihrem Verstand vor, und es war ein ausgezeichneter Verstand. Aber vorübergehend war sie nicht bei ihnen.
«Käse», sagte sie. «Bitte.»
«Was für Käse?»
«Bringen Sie alles, was Sie dahaben, wir wollen ihn uns ansehen», sagte der Colonel.
Der Gran Maestro entfernte sich, und der Colonel sagte: «Was hast du, Tochter?»
«Nichts. Niemals etwas. Immer nichts.»
«Schwing dich auf und laß den Trübsinn. Für solchen Luxus haben wir keine Zeit.»
«Nein. Du hast recht. Wir wollen uns dem Käse widmen.»
«Muß ich’s wie einen Maiskolben hinnehmen?»
«Nein», sagte sie. Sie verstand die Redewendung nicht, aber sie verstand genau, was gemeint war, da sie es war, die das Denken besorgt hatte. «Steck die rechte Hand in die Tasche.»
«Gut», sagte der Colonel. «Das werde ich.»
Er steckte die rechte Hand in die Tasche und befühlte, was da war, zuerst mit den Fingerspitzen und dann mit dem Innern seiner Finger und dann mit der Fläche seiner Hand, seiner verkrüppelten Hand.
«Verzeih», sagte sie. «Und jetzt wollen wir von neuem vergnügt sein. Wir wollen uns mit Heiterkeit dem Käse widmen.»
«Ausgezeichnet», sagte der Colonel. «Was er wohl für Käsesorten haben wird?»
«Erzähl mir vom letzten Krieg», sagte das Mädchen. «Und dann wollen wir im kalten Wind Gondel fahren.»
«Es war nicht sehr interessant», sagte der Colonel. «Für uns sind solche Dinge natürlich immer interessant. Aber es gab nur drei, vielleicht vier Phasen, die mich wirklich interessiert haben.»
«Wieso?»
«Wir bekämpften einen geschlagenen Feind, dessen Verbindungslinien vernichtet waren. Wir haben viele Divisionen auf dem Papier vernichtet, aber es waren Schattendivisionen. Keine wirklichen. Unsere strategische Luftwaffe hatte sie vernichtet, bevor sie je ins Gefecht kamen. Wirklich schwierig war es nur in der Normandie durch das Gelände, und als wir für Georgie Pattons Panzer eine Bresche schlugen und sie nach beiden Seiten aufhielten, damit sie durch konnten.»
«Wie schlägt man eine Bresche, damit die Panzer durch können? Erklär mir das, bitte.»
«Zuerst kämpft man, um eine Stadt einzunehmen, die die wichtigsten Chausseen beherrscht. Nennen wir die Stadt Saint-Lo. Dann muß man die Straßen freimachen, indem man weitere Städte und Dörfer nimmt. Der Feind hat eine Hauptverteidigungslinie, aber er kann seine Divisionen nicht zu einem Gegenangriff heranbringen, weil die leichten Bomber sie auf den Landstraßen zu fassen kriegen. Langweilt dich das nicht? Es langweilt mich tödlich.»
«Es langweilt mich nicht. Ich habe es noch niemals so dargestellt gehört, daß ich es verstehen könnte.»
«Danke», sagte der Colonel. «Möchtest du wirklich noch mehr von dieser traurigen Wissenschaft hören?»
«Bitte», sagte sie. «Du weißt doch, daß ich dich liebe, und ich möchte so gern mit dir teilen.»
«Keiner kann dies Handwerk mit einem anderen teilen», sagte der Colonel zu ihr. «Ich erzähle dir nur, wie es funktioniert. Ich kann Anekdoten einstreuen, um es interessanter oder glaubwürdiger zu machen.»
«Bitte, welche einstreuen.»
«Die Einnahme von Paris war gar nichts», sagte der Colonel. «Das war nur ein gefühlsmäßiges Erlebnis. Keine militärische Operation. Wir töteten eine Reihe von Stenotypisten und Leute, die die Deutschen als Tarnung dagelassen hatten, wie sie es immer machten, um ihren Rückzug zu decken. Wahrscheinlich haben sie sich gesagt, daß sie nicht mehr so viele Büroangestellte brauchen würden und ließen sie deshalb als Soldaten zurück.»
«War’s denn gar nicht großartig?»
«Die Leute von Leclerc – noch so einem Laffen dritter oder vierter Güte, dessen Tod ich mit einem Magnum Perrier-Jouet Brut 1942 gefeiert habe – gaben eine große Anzahl Salven ab, um den Anschein ungeheurer Wichtigkeit zu erwecken, und weil wir ihnen die Munition geliefert hatten. Aber wichtig war es nicht.»
«Warst du dabei?»
«Ja», sagte der Colonel. «Ich glaube, ich kann ruhig ‹ja› sagen.»
«Hast du gar keine starken Eindrücke davon? Schließlich war es doch Paris. Nicht jeder war bei der Einnahme von Paris dabei.»
«Vier Tage vorher hatten es die Franzosen selbst bereits genommen. Das, was wir SHAEF nannten – Supreme, hast du das Wort mitgekriegt? Headquarters of the Allied Expeditionary Forces –, wo sich alle Strategen der Nachhut befanden, die ein Abzeichen der Schande in Form von irgend etwas Flammendem trugen,
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