Über den Fluß und in die Wälder
mehr gelingen, weil es zu spät war.
Sie waren nicht Othello und Desdemona, Gott sei Dank, obschon es dieselbe Stadt war und das Mädchen fraglos besser aussah als die Shakespearische Dramenfigur und der Colonel so oft oder noch öfter gekämpft hatte als der streitsüchtige Mohr.
Es sind ausgezeichnete Soldaten, dachte er. Die verdammten Schwarzen. Wie viele haben wir zu meiner Zeit getötet? Ich glaube, wir haben mehr als eine Generation getötet, wenn man den letzten marokkanischen Feldzug gegen Abd el-Krim mitrechnet. Und jeden muß man einzeln töten. Niemand hat sie je in Massen getötet, so wie wir die Krauts töteten, bevor sie die ‹Einheit› entdeckten.
«Tochter», sagte er. «Willst du, daß ich es dir wahrheitsgetreu erzähle, damit du davon weißt – wenn ich dabei nicht zu grob bin?»
«Ich möchte nichts lieber, als daß du’s mir erzählst. Dann können wir es teilen.»
«Zum Teilen reicht es nicht», sagte der Colonel. «Es gehört dir ganz, Tochter. Und es sind nur die Glanzlichter. Du würdest den Feldzug im einzelnen nicht verstehen; nur wenige würden es verstehen. Rommel vielleicht. Aber sie hielten ihn in Frankreich immer im Hintertreffen, und außerdem hatten wir seine Verbindungslinien zerstört. Die beiden strategischen Luftwaffen hatten das getan, unsere und die RAF. Aber ich wünschte, ich könnte mich mit ihm über einiges unterhalten. Ich würde mich gern mit ihm und Ernst Udet unterhalten.»
«Erzähl mir nur, was du willst, und trink dies Glas Valpolicella und hör auf, wenn es dich krank macht. Oder erzähl es lieber gar nicht.»
«Zu Anfang war ich ein Ersatz-Colonel», erklärte der Colonel behutsam. «Das sind Colonels, die sich so herumdrücken, die man Divisionskommandeuren zuteilt, um einen zu ersetzen, der getötet worden ist oder der abgelöst werden soll. Es werden nur selten welche getötet, aber viele werden abgelöst. Alle guten werden befördert. Ziemlich schnell, sobald es losgeht, so in der Art wie ein Waldbrand.»
«Bitte erzähl weiter. Solltest du deine Medizin nehmen?»
«Zum Teufel mit meiner Medizin», sagte der Colonel. «Und zum Teufel mit SHAEF.»
«Das hast du mir erklärt», sagte das Mädchen.
«Ich wünschte, in drei Teufels Namen, du wärst ein Soldat mit deinem logischen, zuverlässigen Verstand und deinem Prachtsgedächtnis.»
«Ich war gern ein Soldat, wenn ich unter dir kämpfen könnte.»
«Kämpfe niemals unter mir», sagte der Colonel. «Ich bin tüchtig, aber ich habe kein Glück. Napoleon verlangte, daß man Glück hatte, und recht hat er gehabt.»
«Wir haben doch auch Glück gehabt.»
«Ja, Glück und Pech», sagte der Colonel. «Aber Glück allein genügt im Krieg auch nicht. Das ist einfach etwas, was man braucht. Die Leute, die nur auf ihr Glück vertrauten, sind alle so ruhmreich tot wie Napoleons berittene Kavallerie.»
«Warum haßt du die Kavallerie? Fast alle netten jungen Leute, die ich kannte, waren in unseren drei guten Kavallerieregimentern oder bei der Marine.»
«Ich hasse gar nichts, Tochter», sagte der Colonel und trank ein bißchen von dem leichten, trockenen Rotwein, der so anheimelnd war wie das Haus deines Bruders, wenn du mit deinem Bruder gut Freund bist. «Das ist einfach mein Standpunkt, zu dem ich durch sorgfältige Erwägungen und eine Veranschlagung ihrer Fähigkeiten gelangt bin.»
«Ist sie wirklich nicht gut?»
«Sie ist wertlos», sagte der Colonel. Dann fügte er, eingedenk, daß er freundlich sein wollte, hinzu: «Heutzutage.»
«Jeder Tag bringt eine Desillusion.»
«Nein. Jeder Tag bringt eine neue und schöne Illusion. Aber man kann alles Zweifelhafte an der Illusion herausschneiden wie mit der scharfen Schneide eines Rasiermessers.»
«Bitte, schneide mich nie.»
«Du bist nicht schneidbar.»
«Willst du mich küssen und mich festhalten, und wollen wir beide auf den Canal Grande hinaussehen, wo das Licht jetzt wunderbar ist, und du erzählst mir weiter?»
Als sie auf den Canal Grande hinausblickten, wo die Beleuchtung tatsächlich wunderbar war, fuhr der Colonel fort: «Ich bekam ein Regiment, weil der Kommandierende General einen Jungen seiner Stellung entheben wollte, den ich seit seinem achtzehnten Lebensjahr kannte. Natürlich war er kein Junge mehr. Es war zuviel Regiment für ihn, und es war alles von einem Regiment, was ich je in diesem Leben hätte erhoffen können – bis ich es verlor.» Er fügte hinzu: «Durch Befehl von oben natürlich.»
«Warum verliert man denn
Weitere Kostenlose Bücher