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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Kaffeeautomaten roch es nach frischem Nikotin. Mancini war wohl erst vor ein paar Minuten schlafen gegangen. Vielleicht brauchte er etwas. Doch es war nicht Zimmer sieben.
    Â«Bringen Sie mir Valium, ich kann nicht schlafen», sagte Lucchi. Er hatte sich aufgesetzt, hing schief in den Kissen. Ich versuchte ihn hochzuziehen, aber er ließ sich fallen. Das Nachthemd klebte.
    Â«So kriegen Sie keine Luft», sagte ich.
    Â«Ich brauch’ keine Luft, sondern ein Schlafmittel.»
    Auf dem Nachttisch lagen ein Kamm, gebrauchte Taschentücher, die Reste einer Pocket-Coffee-Schachtel.
    Â«Kaffee», sagte ich und zeigte auf die orange-braune Verpackung, «hält auch wach.»
    Â«Die hat Rino gegessen.» Lucchi machte eine Handbewegung; ich verstand nicht.
    Â«Der linke Arm», sagte er, «ich kann ihn kaum bewegen.»
    Er schloß kurz die Augen. «Holen Sie das Blutdruckgerät.»
    Â«Haben Sie Ihre Frauen auch so behandelt?» Ich ging zur Tür.
    Â«Ich hatte keine Frauen.»
    Â«Das glaube ich Ihnen nicht.»
    Als ich mit dem Meßgerät zurückkam, hatte sich Lucchi selbst hochgezogen; er saß nun gerade im Bett und krempelte den Ärmel seines Nachthemds auf.
    Â«Wir sollten den anderen Arm nehmen, wenn Sie den hier nicht bewegen können.»
    Â«Tun Sie, was Sie wollen.»
    Der Blutdruck war normal, der Puls etwas erhöht.
    Â«Und das Valium? Haben Sie es nun dabei?»
    Â«Geht’s freundlicher?» sagte ich.
    Â«Jetzt hören Sie mir mal gut zu: Ich habe keine Lust, den milden und nachsichtigen Alten zu spielen, nur weil Sie sich das erwarten. Mich kotzen Ihre Ohrensesselopas an.»
    Â«Hier, das Schlafmittel.»
    Lucchi schlug mit der flachen Hand auf die Decke. «Diese Bescheidenheit, die mir hier ständig aufgedrängt wird – ich hasse sie. – Ich bin noch nicht fertig», sagte er, als ich gehen wollte. Er zeigte mit dem Finger auf mich. «Was wollen Sie? Den künftigen Engel in mir ausbilden?»
    Â«Wohl kaum», sagte ich.
    Â«Sie meinen, weil ich jetzt schon der Teufel bin?» Er lachte. «Glauben Sie mir deshalb nicht?» Er nahm die Tablette in den Mund, ohne anschließend Wasser zu trinken. «Stellen Sie sich vor; die ganze Familie ist der Meinung, ich hätte ein Verhältnis mit Gianna gehabt. Sie wissen schon – die Frau meines Hausarztes, die immer auf Besuch kommt.» Er machte eine Pause. «Jetzt bin ich zweiundachtzig. Ich habe meinen Leuten nie widersprochen; ich hab’s aber auch nicht zugegeben. Und wissen Sie warum? – Bleiben Sie noch einen Moment.» Lucchi bot mir eine Pocket-Coffee-Schokolade an. «Weil es stimmt.» Er kicherte in sich hinein. «Nur hatte ich das Verhältnis nicht mit Gianna, sondern mit Fausto, ihrem Mann.» Lucchi hielt noch immer die Pocket-Coffee-Schachtel in der Hand. Er sah mich an, zupfte an der Verpackung, senkte den Blick. «Siebenundzwanzig Jahre waren wir zusammen und waren es doch nicht, und mein progressiver Neffe, dieser Pseudorevolutionär, hat vor lauter eigener Weibergeschichten nichts bemerkt.»
    Ich setzte mich auf den Stuhl; es war nur das Rascheln der Verpackung zu hören. Lucchis Hände zitterten.
    Â«Warum haben Sie es für sich behalten?»
    Â«Fausto wollte nicht, daß es Gianna erfährt, und schon gar nicht, daß seine Tochter davon Wind kriegt. Es hat funktioniert.Ich habe Gianna den Hof gemacht – ein reines Ablenkungsmanöver. Es funktioniert immer noch.» Lucchi legte die Schokolade auf den Nachttisch zurück. «Seit Fausto tot ist, das ist nun fünf Jahre her, bin ich ein körperliches Wrack. Gianna wollte, daß ich zu ihr ziehe; sie wollte sich um mich kümmern. Sie hat ja keine Ahnung.» Er lachte auf. «Wie kann man nur so leichtgläubig sein.»
    Â«Und Rino», sagte ich, «warum haben Sie es ihm nicht gesagt?»
    Â«Diesem Egomanen, der alle um sich herum unglücklich macht?»
    Irgendwo schlug eine Tür, vielleicht war Mancini nochmals nach draußen gegangen, um eine letzte Zigarette zu rauchen, und hatte die Tür nicht hinter sich zugezogen. Ich stand auf.
    Â«Lassen Sie mir noch ein paar von diesen Tabletten hier.»
    Ich legte eine in Lucchis Medikamentenschieber.
    Â«Am besten die ganze Packung.»
    Â«Das darf ich nicht, das wissen Sie.»
    Lucchi hielt meinen Arm fest. «Sollte es mit mir zu Ende gehen, werden Sie Rino die Wahrheit sagen.

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