Ueberdosis
genommen, viel Amphetamin. Vielleicht war sie süchtig danach, ich weiß es nicht. Jedenfalls, sie nahm Amphetamin und trank Alkohol dazu und dann muß sie noch Beruhigungsmittel genommen haben … und sie starb. Kreislaufversagen. Michael bekam Angst. Mehr als Angst – Panik, Schuldgefühle. Er wußte es nicht, konnte es natürlich nicht wissen, aber er glaubte, daß sein Amphetamin Schuld am Tod des Mädchens war. Er wollte aussteigen, aufhören.«
»Aber Jorge ließ ihn nicht.«
»Nein, Jorge ließ ihn nicht. Er erpreßte Michael, nutzte seine Schuldgefühle aus. Wenn Michael kein Amphetamin mehr produziere, würde er ihn an die Polizei verraten. Und die Polizei würde ihn für den Tod des Mädchens verantwortlich machen. Jorge wußte genau, wie er Michael zu behandeln hatte. Michael machte weiter. Die Spanier verlangten immer größere Mengen und zahlten immer weniger Geld dafür, aber Michael hatte keine andere Wahl. Sie hatten ihn in der Hand. Und Hommberg, der gute Onkel Lukas …«
Susanne ballte die Fäuste.
»Hommberg war es egal, wie Michael sich fühlte. Er hatte Angst um seine eigene Haut, und jedes Kilo Amphetamin, das Michael herstellte, brachte ihm ein paar Tausender. Vielleicht nicht soviel, wie er sich erhofft hatte, aber er brauchte ja auch nur zu kassieren und dafür zu sorgen, daß Michael bei der Arbeit im Labor nicht gestört wurde. Aber dann – es gab noch ein oder zwei weitere Amphetamintote und …«
Ihre Stimme brach.
»Ich verstehe«, murmelte Markesch. Er schwieg einen Moment. »Michael muß sehr verzweifelt gewesen sein.«
»Ja, er … ich kann es nicht beschreiben. Er war immer sehr empfindsam gewesen, und der Kampf gegen seine Mutter – es war ein Kampf, glauben Sie mir, es war wirklich ein Kampf – hat ihm zu schaffen gemacht. Doch nach diesen neuen Todesmeldungen – es war schrecklich. Als wäre auch in ihm etwas gestorben. Ungefähr zur gleichen Zeit genügte Jorge das Amphetamin nicht mehr. Michael sollte andere Drogen herstellen.«
»Andere Drogen?«
»Derivate von bestimmten Schmerz- und Narkosemitteln aus der Firma. Hommberg sollte die Grundstoffe zur Verfügung stellen und Michael die Derivate produzieren.«
Markesch dachte an sein Gespräch mit dem Anwalt zurück. »Designer-Drogen. Ich habe davon gehört. MDMA, DOB und so weiter.«
»Nein. Keine Amphetamin-Derivate wie MDMA, keine Halluzinogene wie DOB. Sondern etwas Schlimmeres. Etwas viel Gefährlicheres. Wissen Sie, was Fentanyl ist?«
Er schüttelte den Kopf.
»Ein Narkosemittel, eins der wirksamsten, das es gibt. Die Maaßen-Pharma ist einer der größten Hersteller von Fentanyl und beliefert damit Krankenhäuser in ganz Deutschland. Wenn man Fentanyl chemisch ein wenig verändert – der Prozeß ist kompliziert, aber mit der richtigen Ausrüstung und dem entsprechenden Wissen ist es machbar – erhält man einen Stoff namens Carfentanil.«
Sie lehnte sich zurück, schloß für einen Moment die Augen, öffnete sie wieder, sah hinaus in die Nacht, zu den Lichtinseln der Straßenlaternen.
»Alle Welt hält Heroin für die gefährlichste Droge, die es gibt, aber im Vergleich zu Carfentanil ist Heroin ein Witz. Es ist siebentausendfünfhundertmal stärker als Morphin. Wissen Sie, was das bedeutet? Wenn Sie Heroin oder Morphin spritzen, spielen Sie mit dem Feuer. Sie können davon süchtig werden, aber Sie haben trotzdem eine Chance, daß Sie noch einmal davonkommen. Aber Carfentanil … Es läßt Ihnen keine Chance. Das Suchtpotential ist so hoch, daß ein Schuß genügt, und Sie hängen am Haken. Es ist der Tod, wissen Sie, der leibhaftige Tod.«
Der Traum eines jeden Dealers, dachte Markesch. Er fröstelte. Gott, sie werden damit machen, was sie bereits mit Heroin versucht haben. Sie werden die ersten zwei, drei Schüsse verschenken. Hi, Kids, schaut her, ein neuer Stoff, ein wirklicher Hit, das, was ihr immer gesucht habt, und hier ist es, kostenlos, probiert’s doch mal, nur keine Angst, hereinspaziert ins Wunderland, es ist genug für alle da … Und die Kids werden es probieren, und die Falle schnappt zu, und nichts und niemand kann sie mehr daraus befreien. Und Leute wie die Spanier werden einfach dasitzen und grinsen und kassieren, kassieren, kassieren …
Er fröstelte erneut, und die Nacht schien eine Spur finsterer zu sein.
»Wie ging es weiter?« fragte Markesch rauh.
»Es ging nicht weiter. Michael wollte nicht mehr, konnte nicht mehr. Sogar Hommberg bekam Angst. Nicht, daß er Skrupel
Weitere Kostenlose Bücher