Ueberdosis
Held!«
Markesch murmelte einen Fluch und ging die Straße hinunter. Sie folgte ihm, hielt sich dicht an seiner Seite, und ihrer körperlichen Nähe gelang, was dem Griff nach der Magnum versagt geblieben war: Seine Angst verflog.
Sehr romantisch, dachte Markesch.
Die Seitenstraße kam in Sicht.
Sie wichen dem trüben Lichtkreis einer Laterne aus und hielten sich dicht an eine Ziegelsteinmauer, hinter der sich Schrottberge auftürmten wie die rostigen Überreste eiserner Saurier.
»Warten Sie!« zischte Markesch. Er hielt Susanne am Arm fest und starrte in die Dunkelheit. Vor ihnen, vielleicht zwanzig, dreißig Meter von der Toreinfahrt zu Toldeos Firma entfernt, parkte ein Auto. Ein BMW. Er dachte wieder an Müller vom BKA.
Natürlich konnte es ein Zufall sein.
Aber er glaubte nicht an Zufälle.
»Was ist?« flüsterte Susanne.
»Der Wagen«, sagte Markesch leise. »Toldeos Firma wird wahrscheinlich beobachtet.«
»Beobachtet? Von wem?«
»Vom BKA.«
Ihre Elfenaugen weiteten sich. »Aber …«
»Still. Ich erkläre es Ihnen später. Man darf uns nicht sehen. Das BKA ist nicht daran interessiert, Ihren Bruder zu befreien.«
»Ich verstehe nicht …«
»Später.« Er brachte sie mit einer barschen Handbewegung zum Schweigen und sah an der Mauer hinauf. Knapp zwei Meter hoch. »Können Sie klettern?«
Susanne folgte seinem Blick. Sie nickte.
Sie gefiel ihm immer mehr. Sie begriff schnell und sie wußte, wenn man schweigen und handeln mußte. Und vor allem machte sie keine überflüssigen Bemerkungen über sein Alter. Vielleicht schätzte er sie deshalb so sehr.
Markesch packte sie an den Hüften und stemmte sie hoch, so daß sie sich mit den Händen an die Mauerkrone klammern konnte. Ihr wohlgeformter Po war direkt vor seinen Augen, und es kostete ihm einige Mühe, die unkeuschen Gedanken zu vertreiben. Dann kauerte sie oben auf der Mauerkrone und ließ sich auf der anderen Seite nach unten. Er folgte ihr, keuchend, schnaufend, seine mangelhafte Kondition verfluchend. Zum Glück wies die Mauer genug Risse und Vorsprünge auf, an denen er Halt fand, und schließlich hatte er es geschafft.
Sein Herz hämmerte, der Schweiß stand ihm auf der Stirn.
Susanne maß ihn mit einem kritischen Blick. »Hoffentlich bekommen Sie nicht gleich Ihren ersten Herzanfall. In Ihrem Alter sollten Sie vorsichtig sein.«
»Was heißt hier Alter?« knurrte er. »So jung wie heute werde ich nie wieder sein.«
Mürrisch wandte er sich ab und stapfte über das morastige Gelände, an den Schrotthaufen vorbei, dem monströsen Metallgerüst eines Krans, der Seitenmauer entgegen, die den Schrottplatz von der Toldeo-Firma trennte. In Ihrem Alter … Soviel zu den Illusionen, dachte er. Soviel zu den jungen Frauen von heute.
Der Schlamm spritzte an seiner Hose hoch, aber er achtete nicht darauf. Der Schlamm war sauber im Vergleich zu den Dingen, die in den Köpfen mancher Menschen vor sich gingen.
Susanne Großmann lief hinter ihm her.
»Habe ich Sie verärgert?« fragte sie, als sie ihn kurz vor der Mauer eingeholt hatte.
»Nein. Sie haben mich nur von meinen Illusionen befreit.«
Im trüben Licht einer einsamen Laterne, die auf Toldeos Firmengelände einen hoffnungslosen Kampf gegen die Nacht führte, entdeckte er einen Stapel alter Autoreifen an der Mauer. Er kletterte hinauf und spähte vorsichtig über den Sims.
Ein asphaltierter Platz, vom Regen geschwärzt. Links die geschlossene Toreinfahrt, nebelverhangen, wie die Pforte in eine andere Welt. Auf der gegenüberliegenden Seite standen drei VW-Transporter und ein VW-Polo. Die Transporter erinnerten ihn an etwas … An die Fahrt zur Südstadt, zu seinem Treffen mit Barny … Eine Zeitlang war ihm der VW-Transporter eines Südfrucht-Großhandels gefolgt. Er hatte sich nichts dabei gedacht, aber jetzt … Wahrscheinlich waren es Toldeos Leute gewesen. Von Peter Großmanns rotem Porsche gab es keine Spur. War Toldeo, Jorges älterer Bruder, der Mann, der Hommberg in der Hauptverwaltung der Maaßen Pharma besucht hatte, mit dem Porsche unterwegs? Vielleicht, um das Fentanyl abzuholen? Wenn ja, dann hatten sie es vermutlich nur mit Jorge und dem Killer mit dem Goldzahn zu tun.
Markesch sah nach rechts.
Ein flacher Fertigbau, daran anschließend eine langgestreckte Lagerhalle. In dem Fertigbau mußten die Büros untergebracht sein. Hinter den Fenstern brannte kein Licht.
Susanne Großmann kletterte zu ihm hoch.
Sie war ihm so nah, daß er ihr Tropicparfum riechen konnte.
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